Das Venedigermandl in Rattendorf
Nahe an der Grenze zwischen Italien und Österreich liegt die Rattendorfer Alm. Die Sage erzählt, daß dort Gold zu finden sei. Vor vielen Jahren kam jeden Sommer ein alter, gebückter Italiener aus Udine nach Rattendorf und ließ sich dort für längere Zeit in einem Wirtshause nieder. Bei schöner Witterung besuchte er täglich die Alm und kehrte abends müde, aber mit einem gefüllten Sack in das Dorf zurück. Dadurch neugierig gemacht, suchte der Wirt dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und durchsuchte eines Tages, als der Italiener sein Zimmer zu verschließen vergessen hatte, das Gepäck des Fremden. Da fand er einen mit Goldsand gefüllten Sack, stellte ihn aber wieder an seine Stelle und faßte den Entschluß, die Fundstelle zu erkunden. Abends kehrte jener mit schwerem Bündel heim, den Wirt jedoch ließ der Gedanke an das Gold nicht schlafen. Kaum stieg die Sonne hinter den Bergen empor, so schlich der Alte schon wieder auf die Alm, hinter ihm der lauernde Wirt, der auf diese Weise den Platz ausfindig machte, wo jener den Goldsand holte.
Bald kehrte der Alte nach Udine zurück, und der Wirt beeilte sich, nach seinem Beispiele Reichtümer zu sammeln. Als er bereits eine ansehnliche Menge besaß, zog er in der Verkleidung des Alten die staubige Straße nach Udine, um den kostbaren Sand dort für Geld einzuhandeln. Doch da hörte er in einer der Gassen sich plötzlich angerufen und gewahrte zu seinem Entsetzen hinter sich jenen Mann. Freundlich begrüßte ihn der Italiener und nahm ihn gastlich auf. In seinem Zimmer hatte er eine Zauberlaterne, mit welcher er dem erstaunten Rattendorfer viele schöne Bilder vorführte, zuletzt auch sein Wirtshaus in Rattendorf und die Goldalm. Dann sprach er: „Du siehst, daß mir nichts entgeht, was sich in der Ferne abspielt. Für diesmal will ich dich nicht strafen. Behalte das Gold zum Danke für die gute Aufnahme, die du mir immer gewährt hast. Aber wehe dir, wenn du noch einmal zur Fundstelle zurückkehrst oder sie einem andern verrätst!" Um seiner Warnung noch mehr Nachdruck zu verleihen, zeigte er dem ohnedies eingeschüchterten Wirte seine Gaststube und sagte, er brauche nur in die Laterne zu sehen und wisse, was im Hause geschehe und gesprochen werde. Ein Druck auf seine Flinte genüge, so liege der Wirt als Leiche in Rattendorf. Hoch und heilig schwor der biedere Älpler, nie mehr Gold holen zu wollen, noch das Geheimnis auszuplaudern. Für den mitgebrachten Sand gab ihm der Alte so viel Geld, daß er nach Hause fahren und dort ohne Sorgen leben konnte. Er hielt sein Versprechen bis zum Tode, und das Geheimnis sank mit ihm ins Grab.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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