Der Wettlauf in Weitensfeld
Ungefähr in der Mitte des von der Gurk durchrauschten Tales liegt der Markt Weitensfeld in ländlicher Stille und Abgeschiedenheit. Am untersten Ende des Marktes erhebt sich ein einfacher, schmuckloser Brunnen. Inmitten des hölzernen Wasserbeckens steht auf einem Pfeiler eine mäßig große Statue; sie stellt eine aus Holz geschnitzte weibliche Figur mit spitzem, breitkrempigem Hute dar, die jedem Ortsfremden auffällt. Sie ist die Trägerin einer Volkssage, an welche sich wieder ein sonderbarer Brauch knüpft.
Als im 15. Jahrhundert in Kärnten die Pest wütete, blieben von all den Bewohnern männlichen und weiblichen Geschlechtes nur mehr drei Bürgersöhne und das Burgfräulein des nahen Schlosses am Leben. Da entspann sich zwischen den drei Jünglingen ein Streit, welcher das Mädchen zur Gemahlin erhallen solle. Ein Wettlauf sollte entscheiden. Die Jungfrau stellte sich am Brunnen auf, mit den Schlüsseln des Hauses in der Hand, und versprach, dem ins Haus folgen zu wollen, der als Erster bei ihr anlangen und sie küssen werde. Dieser Wettlauf wurde veranstaltet und der Sieger führte sie als Braut heim. So ward sie die Stammutter der gegenwärtigen Bevölkerung des Marktes.
Zur Erinnerung an diese Begebenheit findet nun alljährlich zu Weitensfeld am Pfingstmontag das sogenannte „Kranzelreiten" statt, dem ein Wettlauf vorangeht. Die Statue ist an diesem Tage mit einer weiß-roten Schärpe und einem Kranze geschmückt. Sie bildet das Ziel eines Wettlaufes und Wettrittes, an welchem sich die Burschen des Dorfes beteiligen. Wer als Erster beim Standbilde der Jungfrau anlangt, erhält als Belohnung den Kranz von ihrem Haupte.
Nach einer zweiten Fassung soll jene Jungfrau im Mittelalter, als eine furchtbare Pest im Gurktale wütete, an der Stelle des Marktbrunnens bei lebendigem Leibe begraben worden sein. Die Marktbewohner hielten dies für das beste Mittel, die Seuche zu vertreiben, und hatten damit auch Erfolg. Später aber errichtete man der Jungfrau zum Andenken an ihre Opferliebe auf dem Marktbrunnen ein Denkmal.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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