Der Wildschützsepp

Der Wildschützsepp war ein allbekannter Wilderer, der an beiden Hängen der Saualpe sein Unwesen trieb; er verstand es, sich durch allerhand Zauberkünste den Verfolgern zu entziehen oder Hirsche und anderes Wild anzulocken. „Der große Mann“, wie er teils wegen seiner hohen Gestalt, teils wegen seiner überirdischen Macht genannt wurde, hatte seine Kraft vom Teufel erhalten, als er bei einer Mette um die Mitternachtsstunde in einer Nische der Kirche stand und dem Pfarrer jedes Wort mit Spott und Hohn nachsprach. Der Geistliche rief vom Altar zurück: „Verflucht sei der Gotteslästerer!“ Da zischte und heulte es um die Kirche, eine kleine schwarze Fliege kam geflogen, und der Wildschütz, wohl wissend, wer das Tierchen war, fing es und schluckte es, ohne es zu zerbeißen. Von diesem Augenblicke an stand er mit dem Teufel im Bunde.

Einst saß er in seiner Almhütte und putzte den Gewehrlauf. Vorsichtig schlich ein neugieriger Jäger zum Fenster und als er den Wilderer so beschäftigt sah, eilte er in die Stube, doch welch Erstaunen - anstatt des Gewehrlaufes hatte der Wilderer ein Holunderrohr in der Hand, das er mit dem Messer bearbeitete. Ein andermal wieder, als ihn der Jäger mit einem Bocke vor sich sah, verschwand er plötzlich und an seiner Stelle stand ein Baumstumpf. Der Jäger trieb die Axt in den Klotz; die Wundnarbe, welche der Wilderer damals davontrug, brandmarkte ihn für immer. Bei einer solchen Gelegenheit verlor er auch einen Finger; er hatte sich einmal vor dem verfolgenden Jäger in einen Strauch verwandelt und der Jäger schnitt einen Zweig davon ab.

Bevor er sich zur Ruhe legte, stellte er seinen Stiefel auf und lehnte seinen Stock daran; drohte Gefahr, so fiel der Stiefel um, der Stock weckte ihn und zeigte gleichzeitig in die Richtung, woher die Häscher kamen.

Als einst der Graf jagte und kein Tier zu erblicken war, rief er aus: „Verflucht sei der Wildschützsepp!“ Da stand wie aus der Erde geschossen ein Mann vor ihm und fragte, warum er sich so ärgere. Der Graf erzählte ihm sein Mißgeschick. Der Wildschützsepp, denn dieser war es, sagte nun: „In zehn Minuten wird der schönste Hirsch hundert Schritte vor dem Herrn Grafen stehen“, und ging weiter. Bald darauf schoß der Graf einen herrlichen Achtzehnender.

Endlich übermannte den Wilderer das Alter und er wollte Buße tun, doch kein Priester sprach ihn seiner Sünden frei. Da riet ihm ein alter Priester, zu Fuß nach Maria-Lourdes zu wandern, um dort reumütig zu büßen - doch er starb auf dem Wege dahin.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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