Die Wintersendinnen
Als noch mächtiger Wald den Ritteralmbachfall überragte, stand oberhalb desselben eine Waldhütte, die im Sommer mit Kühen bestellt war, nun aber ganz abgekommen ist. Ringsherum war saftiger Weideboden, jetzt wächst dort schon lange der Wald. Die Leute getrauten sich nicht mehr hinauf, weil es daselbst nicht geheuer war. Die Kühe kamen oft heim, als wären sie schon gemolken, oder es fiel eine und die andere auf dem ebenen Boden. Die Käselaibe waren über Nacht in anderer Reihe aufgestellt und die Donnerwetter kamen alle in der Nähe zusammen, die Blitze gingen an den Nachbarbäumen nieder, wie wenn sie oben in den Felswänden kein besseres Ziel fänden, und einer hat die Hütte in Brand gesteckt, worauf sie nimmer hergerichtet wurde. Noch ärger und unheimlicher als im Sommer ist es da im Winter zugegangen.
Die Jäger wußten es gar gut, daß sie im Winter nicht in der Waldhütte übernachten durften, denn es ging da gar schauerlich zu: Die Wintersendinnen büßten an ihnen ihren Mut und verwandelten sie zuletzt in Ochsen und Stiere.
Aber die Neugier ist bei manchem Menschen unüberwindlich und so gedachte ein kühner Wildschütz einmal genau dahinterzukommen, zumal er eine geweihte Kugel in seiner Büchse und gehört hatte, daß ein Schuß zur rechten Zeit dem Spuke ein Ende mache. Gesagt, getan. Er richtete sichs mit seiner Gemse spät abends auf dem Oberboden der Hütte ein, von wo er ruhig und bequem auf den Herd durch eine Bodenlücke niederschauen und der kommenden Dinge harren konnte.
Die Müdigkeit und Kälte überwältigten ihn jedoch und er verfiel in einen tiefen Schlaf, aus welchem ihn ein heftiger Peitschenknall und das Geläute einer herannahenden Herde weckte. Er schaut und schaut - bei schwachem Mondlichte sieht er sie herbeikommen, die schwarzen Kühe und mißgestalteten Ochsen, hinter ihnen zwei Sendinnen, mit tief ins Gesicht gedrückten Hüten, und mehrere Halter samt Halterbuben. Schweigend gehen sie einher, schweigend setzen sie sich auf die Bank um den Herd, nur die Sendinnen sputen sich, machen Feuer, nehmen die Kochgeräte, füllen die Schüsseln und bereiten das Mahl, wozu sich dann alle schweigend versammeln, nicht ohne daß die Sendinnen öfters hinaufblicken, wo der Jägersmann, fast gelähmt vor Furcht und Schreck, ihr Tun beobachtet.
Noch glaubt er sich unbeachtet, als die Halter nach dem Mahle sich lagern wollten. Aber die Sendinnen gestatteten es nicht und ergriffen brennende Scheiter, mit denen sie die Halter allesamt hinausjagten. Diese mußten nun wieder mit der Herde fort, während die Sendinnen zurückkehrten und jetzt gar begehrliche Blicke hinaufrichteten, zuweilen auch wieder verächtlich um sich schauten, das Feuer löschten und nun im gleichen Andrange über die Leiter den Oberboden erreichen wollten.
Dem armen Wildschützen drehte sich alles im Kopfe herum, er schwitzte, als wäre er in einem Ofen, er sah die häßlichen Gestalten sich nahen, da betete er; es gelang ihm noch, den Schuß rechtzeitig zu tun, und verschwunden war der furchtbare Spuk; die Herde samt Haltern und Halterbuben ist verschwunden und nur ein Haufe brauner Tannenzapfen rollt draußen über den schneeigen Abhang in die Tiefe, während am Herd in der Frühe zwei Kohlenstücke lagen, die er am Abend nicht gesehen. Der Wildschütz war gesund gekommen, aber er ging schwach und krank nach Hause und verschwor sich, im Winter nicht mehr in der Waldhütte zu übernachten. (Aus dem Gößgraben und aus der Langalm im Liesertale.)
Wie man im Drautale glaubt, soll die Wilde Sendin ein Weib sein, das nach dem Viehabtrieb in die Alpenhütte einzieht und dort den übernachtenden Wilderern oder Jägern arg mitspielt und sie bis zum Grußläuten mit allerhand schrecklichen Stimmen bis aufs Blut ängstigt. Ein solcher Mensch, der die Wilde Sendin gesehen oder gehört, lacht dann sein Lebtag nicht.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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