Von der Wolfgangkirche in Grades
An der Stelle, wo heute die Kirche steht, soll einst eine heilbringende Quelle geflossen sein. Zu dieser Zeit kam eine fromme Prinzessin nach Grades und nahm darin täglich ein Bad. Nach erlangter Genesung ließ sie dort eine Kirche bauen. Der Bau sollte bis zu einer bestimmten Zeit vollendet werden. Die Zeit rückte heran, doch die Arbeit schritt nur langsam fort, trotz aller Bemühungen der Arbeiter und des Baumeisters, der schon der Verzweiflung nahe war. Als er einmal im Walde in der Nähe des Baues in Gedanken versunken saß, erschien ihm der leibhaftige Satan und fragte ihn, warum er so traurig fei. Jener legte ihm seine Lage klar und der Teufel erklärte sich bereit, ihm unter der Bedingung zu helfen, daß der Erste, der in die Kirche komme, ihm gehöre. Der Baumeister, der keinen Ausweg mehr wußte, war damit einverstanden. In der Nacht darauf wimmelte es auf dem Bau von unheimlichen Gestalten (es waren böse Geister) und am frühen Morgen war die Kirche fertig. Die Leute staunten und der Baumeister, vom bösen Gewissen gepeinigt, erzählte nun, was er mit dem Satan vereinbart hatte. Natürlich wollte jetzt niemand als der Erste in die Kirche gehen. Es wurde beraten, was da zu machen wäre, bis man sich schließlich einigte. Damals gab es in unserem Lande noch sehr viel Wölfe. Gegen Abend wurde nun ein Schaf an das offene Tor der Kirche gebunden. In der Nacht kam ein Wolf, tötete das Schaf und zerrte es in die Kirche, um es dort in aller Ruhe zu verspeisen. Der Satan sah sich betrogen, weil er keinen Menschen, sondern nur ein Tier bekommen hatte, zerriß in seinem Zorne den Wolf in kleine Stücke und nahm sich nicht Zeit, bei seinem Auszuge die Tür zu benützen, sondern fuhr ober der Orgel durch die Wand hinaus. Man hat oft versucht, das Loch zu vermauern, während der Nacht wurde es aber immer wieder aufgerissen und man kann es noch heute sehen. Die Kirche heißt deshalb „Wolfgangkirche".
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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