Die Zauberesche
Im Radlgraben, der bei Trebesing ins Liesertal mündet, lebte vor Jahren eine Keuschlerin, die „Hauswiesnerin“ genannt. Wie sie einmal so des Weges dahinschritt, vernahm sie das Wort: „Daher! daher!“ Sie trat der Stimme näher, sah aber keinen Menschen. Da rief es noch lauter, und zwar von einer knorrigen Esche herab: „Daher! daher!" Das Weib erschrak nun zu Tode, da immer derselbe Ruf erscholl, ohne daß sie jemand bemerkte. Einem unsichtbaren Zwange folgend, schritt sie mit Grauen unter den Baum. „Halt' deine Schürze auf!“ rief's jetzt herab. Da kam es geflogen, lauter hellklingende Goldstücke, ohne Aufhören. „Genug jetzt!“ schrie die Keuschlerin in die Baumkrone, da sie die gefüllte Schürze nicht länger zu halten vermochte, und der Spuk hörte auf. Allein das Weib hätte besser getan zu schweigen und die Schürze fallen zu lassen, dann wäre der Baumgeist, ein verzauberter Banernsohn, erlöst worden. So aber muß er warten, bis das Kind geboren wird, zu dessen Wieglein die Bretter des Lärchenbaumes bestimmt sind, der jetzt noch vor der Keusche steht.
Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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