DIE SCHWARZE SCHLANGE
Die Mackbäuerin in Zell-Pfarre molk ihre schönen Kühe. Da kroch plötzlich eine lange, schwarze Schlange in den Stall. Die Bäuerin erschrak und ließ ihren Melkkübel aus den Händen fallen. Auch die Schlange zögerte und schlich nur langsam und scheu hinüber zur Bäuerin und hob ihr Köpfchen. Jetzt merkte die Frau, daß das Tierlein harmlos war, und sie stellte ihm ein Schüsselchen kuhwarme Milch in einen Winkel. Die Schlange trank gierig die Milch. Von dem Tage an kam die Schlange jeden Morgen und Abend und erhielt jedesmal ihre Milch.
In dieser Zeit, da die Schlange kam, stieg der Reichtum des Bauern, Felder und Wiesen boten fast die dreifache Ernte. Beim Vieh und überall im Hause war der Segen.
An jedem Samstag wurde in der Familie der Rosenkranz gebetet. Auch die Schlange erschien zum Gebet und sie rollte sich in einem Winkel der Stube zum Knäuel zusammen. Nach dem Gebet aber verschwand sie. Die Bauersleute hatten einen ungezogenen Sohn, der fehlte fast jedesmal bei der Familienandacht, oder wenn er dabei verweilte, tat er es so, daß er durch sein Verhalten jedem zum Argernis wurde. Auch die Schlange war ihm schon lange ein lästiger Gast. Er hatte eine rohe Absicht mit ihr. Seine Eltern warnten ihn davor und meinten, die Schlangen seien Glücksbringer. Und sie fürchteten Übles. Der Sohn aber verlachte sie.
Einmal nun, als die Eltern draußen am Felde beschäftigt waren, kehrte der Sohn mit einem Fuhrwerk früher heim und führte seine herzlose Absicht mit der Schlange durch. Eine trübe Vorahnung ließ auch die Eltern vor der Zeit heimkehren. Vor dem Hause, in einer Ecke, lag die zerstückelte Schlange. Noch zuckte der Körper. Traurig umstanden Bauer und Bäuerin das gute Tier, denn sie hatten die zahme und anhängliche Schlange recht lieb gewonnen, und sie hatte ihnen viel Segen ins Haus gebracht. Bange Sorgen erfüllten jetzt die Eltern des rohen Sohnes.
Und wirklich! Mit der Schlange wich auch der Segen des Hauses und ein Jahr um das andere zehrte am Reichtum des ansehnlichen Gutes. Und soviel sie auch arbeiten wollten, es ging immer mehr abwärts. Felder und Wiesen hatten faste keinen Ertrag, das Vieh in den Ställen magerte ab, und so war überall Not und Sorge. Die guten Eltern erkrankten und starben bald. Jetzt bereute der Sohn seine Untat. Er wollte den Hausstand wieder zur Höhe bringen und heiratete ein starkes und fleißiges Mädchen dieses Ortes. Aber trotzdem ging es mit der Wirtschaft nie aufwärts. Und so mußten er und seine Frau ob der Roheit gegen die schwarze Schlange zeitlebens büßen.
Viele Leute im Rosental sind der festen Meinung, daß eine Schlange, wenn sie bei einem Haus verbleiben will und man sie gut behandelt, eine Glücksbringerin sei.
Quelle: Anna Zerobin, Sagen und Erzählungen
aus dem Rosenthal, in: Carinthia I, Nr. 145, 1955, Seite 765