DER KAMPF MIT DEM LÖWEN
Die Sponheimer waren von jenseits des Rheins nach Kärnten gekommen, und Graf Bernhards, des kampfberühmten Helden, Ruf reichte von seiner Heimat bis Sachsen und Italien. Er und seine Gattin Kunigunde besaßen einen einzigen Sohn, Bruno, der in seiner schönsten Jugendblüte der Welt entsagte, Mönch und später Abt zu St. Paul wurde. Die Eltern richteten ihre Gedanken und Hoffnungen nun auf Heinrich, einen Neffen des Grafen, und verlangten, daß jener an Brunos Stelle trete und der Erbe ihrer Güter werde. Dieser Jüngling war des bereits verstorbenen Heinrich von Sponheim einziger Sohn.
Doch auch dieser Neffe sollte die Wünsche Bernhards und Kunigundes nicht erfüllen. Heinrichs Sinn war schon in den Tagen der Kindheit ein gottergebener. Als Knabe hatte er seinen Onkel in das Heilige Land begleitet, und die geweihten Stätten, die er dort sah, hatten einen tiefen Eindruck auf sein Gemüt gemacht. Sobald er herangewachsen war, entstand auch in ihm der Wunsch, der Kirche zu dienen. Die Hochschule zu Paris besaß damals drei hochgelehrte Männer, deren Ruf weit über die Grenzen Frankreichs drang; Heinrich wollte dieselben hören und bezog die Pariser Hochschule. Vom römisch-deutschen Kaiser, der den Sponheimern nahe verwandt war, wurde Heinrich dem Frankenkönig Ludwig warm empfohlen und von Königin Adelheid, Ludwigs Gattin, mit mütterlicher Freundlichkeit empfangen. Auch die Tochter des Königspaares, Konstanze, eine Jungfrau von ungewöhnlicher Schönheit, zeigte sich dem Grafen Heinrich freundlich gesinnt. Ihre Vorzüge ließen ihn in seinen frommen Vorsätzen schwankend werden und erweckten das Verlangen, die holde Königstochter zur Gattin zu gewinnen.
Da kam des Königs Geburtsfest; dies versammelte die Edlen des Landes zu Turnier und Bankett. Von allen Enden des Reiches sah man die großen Vasallen und Würdenträger, die ganze lust- und streitbegierige Jugend in den Mauern von Paris sich versammeln. Der Ordnung des Kampfes gemäß, nach welcher jede Dame ihren Ritter erwählte, nannte Konstanze den Sponheimer Grafen, Heinrich zu Ortenburg und Sonnenberg, als ihren und umschlang ihn mit der selbstgewebten, weißblauen Schürze, dem Sinnbild der Unschuld und Treue.
Das Turnier begann. Hochmut und Neid hatten den zarten und sittsamen Deutschen sich zur leichten Beute auserkoren. Er aber forderte nicht heraus, er suchte nicht, er mied nicht. Mannhaft ruhig harrte er seiner Reihe. Trompeten und Hörner, Pauken und Trommeln schmetterten und wirbelten wild durcheinander, und durch Staubwolken und Waffenklang, durch Geschrei und Getöse hindurch riefen mit mächtigem Laut Herold und Marschall endlich den Ritter der Königstochter in die Schranken. Er sprengte heran, maß dreimal im Kreise die weite Rennbahn und grüßte bescheiden, Haupt und Lanze neigend. Den ersten Gang hatte der vielbeneidete Jüngling mit einem riesigen Normannen, der ihn hochmütigen Blickes maß, als verachte er solchen Kampf, als verschmähe er so leichten Sieg. Doch nur wenige Minuten, und er stürzte, mächtig angerannt von Heinrich, zu Boden. Jetzt kamen die Schwerter an die Reihe. Auch hier siegt der Sponheimer, und der Normanne lag im Sande. Sein Fall entmutigte die jungen Edelknap-pen und Ritter. Wie weiches Rohr stach sie Heinrich von ihren Rossen, und einmütig unter dem Zujauchzen der hin- und herwogenden und tosenden Menge ward ihm aus Konstanzens Hand der erste Preis des Turniers: das Bildnis des Königs zwischen Edelsteinen an goldener Kette.
Ein prunkvoller Einzug und stolz rauschende Weisen eröffneten Tanz und Bankett. Da dröhnte urplötzlich der Schrei des Schreckens und des Jammers zu den Pforten lärmender Freude herein. Das Feuer hatte mehrere Häuser nahe der Burg ergriffen. Eine wilde Windsbraut heulte noch drohender in die knisternden, gefräßigen Flammen. Für das feste, abgesonderte Königsschloß war nichts zu fürchten; darum dachten Ritter und Edelherren nur daran, sich der Lust und den Freuden des Banketts zu widmen. Heinrich stand einen Augenblick sinnend, dann eilte er unbemerkt aus dem Tanzsaal und zu der Stätte des Jammers, wohin ihm der gerötete Himmel ein trauriger Wegweiser war. Sein sicherer Blick und kluger Befehl taten dem wilden Elemente baldigen Einhalt. Wie ein rettender Engel war er am Brandplatz erschienen. All sein Geld hatte er bereits mit freigiebiger Hand gespendet und schon wollte er zum Hoffeste zurückeilen, als Jammerstimmen aus den Tiefen eines Gewölbes zu seinen Ohren drangen; sie kamen von einer Mutter mit ihrem Säuglinge und zwei zarten Kindlein. Durch Qualm und Rauch stürzte Heinrich herein zu den Unglücklichen. Nach wenigen Minuten hatte er alle gerettet, dem Feuertode waren sie durch ihn entrissen, aber dem Hungertode schienen sie preisgegeben. Den letzten Goldgulden hatte Heinrich bereits gespendet; vergebens suchte er in Wams und Mantel. Plötzlich ergriff er den Kampfpreis, die goldene Kette mit dem Königsbilde; Not und Mitleid gestatteten ihm kein Besinnen, er warf die Kette in den Schoß der Flehenden und eilte nach dem glänzenden Saale zurück. Dort erst fiel dem Grafen schwer aufs Herz, daß er den kostbaren Turnierpreis, den er aus der Prinzessin eigener Hand empfangen hatte, weggegeben. Bange näherte er sich der im Park wandelnden Konstanze und gestand ihr knieend seine Schuld. Die Prinzessin löste huldreich eine Kette, an der in Perlen und Diamanten gefaßt ein Stückchen des heiligen Kreuzes befestigt war, von ihrem Halse und hing sie dem Knieenden um.
Diese Szene hatte einer der Ritter beobachtet, die von Heinrich im Kampfe besiegt worden waren. Voll Rachgier eilte er zum König und berichtete diesem den Vorgang so entstellt, daß Ludwig in höchsten Zorn geriet. Fruchtlos waren alle Beteuerungen des unschuldigen Paares; das Urteil des Königs lautete:
"In der neunten Morgenstunde des dritten Tages solle Heinrich der Sponheimer, Graf zu Ortenburg und Sonnenberg, im Burgzwinger waffenlos mit einem Löwen kämpfen. Unterliege er dem Ungetüm, so habe er seine Schuld mit Blut gesühnt und gebüßt. Trete er aber als Sieger aus dem Kampf, so habe damit der gerechte Himmel seine Unschuld an den Tag gebracht."
Festen Schrittes verließ Heinrich den Saal, wo Scheelsucht und Zorneshitze ein solches Urteil gesprochen. Er ging in die Herberge zurück, bestellte sein Haus und tat Botschaft an das liebe Kärntnerland, dem tapferen Greis Bernhard und der vielgeliebten mütterlichen Kunigunde. Den Abend vor dem entscheidenden Morgen warf er sich in innigem Gebete zur Erde; da sah er im Traume, wie ihn die Himmelskönigin in strahlender Glorie zu sich erhob und ihn mit ihrem sterndurchwirkten blauen Mantel schützend umfing. Dankerfüllt erhob er sich vom Lager.
Am nächsten Morgen wies er das herkömmliche schwarze Gewand zurück, untersagte auch seinem Gefolge jegliches Zeichen der Trauer; er befahl vielmehr, ihn im besten Schmuck zu begleiten; er selbst hüllte seine Glieder in ein festliches Gewand, weiß wie frischer Schnee. Um die Schultern schlug er den weißen Mantel, gleich den Rittern des Tempels und Spitales von Jerusalem, doch ohne rotes oder schwarzes Kreuz; aber auf der Brust jenen heiligen Kreuzesteil an goldener Kette, den ihm Konstanze in der verhängnisvollen Stunde umgehängt.
Vom Münsterturm schlug die neunte Stunde; dann erklangen dreimal die Posaunen, hierauf ein kurzer Wirbel aus gedämpfter Trommel. Das weite Rund des Zwingers genügte der zahllos herbeigeströmten Menge nicht. Auf Mauern und Zinnen, auf Dächern und Türmen wogte es von Neugierigen. Finster saß der König da, umringt von den Großen seiner Krone. Unfern von ihm, von jedem Blick gemieden, standen Heinrichs Ankläger in schwarzangelaufener Rüstung und rotem Helmbusch, Schärpe und Gurt. Die Königin und die bleiche Konstanze saßen schwarz gekleidet und in dunkle Schleier gehüllt auf ihren erhöhten Plätzen.
Da flogen die Pforten des Zwingers rasselnd auf und der deutsche Jüngling trat ruhig herein. Die Menge versank in plötzliches, allgemeines Schweigen. Nun öffnete sich an des Zwingers anderer Seite ein mächtiges Fallgitter. Wildes Brüllen hallte erschütternd und, Glut in den Augen, Grimm und Hunger in den Zügen, trat der entsetzliche Löwe heraus. Er sah langsam auf die Menge, hob zornig die Vordertatze, erschaute Heinrich und ging auf ihn zu mit gierigem Rachen.
Heinrich drückte rasch das heilige Kreuz an die Lippen, blickte nach oben, faßte des Löwen greuliche Pranke: "Bei dem Gekreuzigten, dem Herrn des Himmels und der Erde, nieder zu meinen Füßen, du kecker Hund! Und zeuge, unvernünftige Kreatur, für meine Unschuld!" rief er und warf das Tier zu Boden. Der erschrockene Löwe kroch zu seinen Füßen, wie ein Hündlein leckte er sie, wedelte und winselte und gehorchte Heinrich, der ihn zu seiner Höhle führte und befahl, das Fallgitter zu öffnen und hinter dem Leu wieder zu schließen.
Tausendstimmig jauchzte der Jubel durch die Lüfte. Ein Triumphzug, wie ihn blutige Siege nicht feiern, geleitete den Glücklichen zurück in den Königssaal. Hier trat der König, seine Gattin fest umschlingend und Konstanze an seiner Rechten, feierlich vor und sprach, Heinrichs Hand ergreifend und sie mit der seiner Tochter vereinigend: "Nimm sie, du bist ihrer würdig." Bei diesen Worten fühlte Heinrich plötzlich die Gewalt des Himmels über allen Versuchungen der Erde; sein Antlitz war so verklärt, daß er einem Boten aus der anderen Welt glich. "Nur ihr gehöre ich", rief er, "die mir im Traum erschienen ist; die mich von dem grimmigen Löwen errettet und meine Unschuld so glorreich an den Tag gebracht hat."
Knieend flehte er um den Segen des königlichen Paares. Am Abend des folgenden Tages trug er die weißschimmernde Kukulle des Zisterzienserordens in Morimond. Hier jedoch verweilte er nicht lange. Im Sprengel von Metz erhob sich ein neues Stift: Villars. Heinrich ward dessen Abt und dem ganzen Orden Vorbild und Stütze.
Sein Ohm Bernhard und seine Tante Kunigunde vernahmen des teuren Neffen Geschick. Viktring ward dem Andenken an ihn gestiftet. Auf ihre Bitte sandte Heinrich mehrere Ordensbrüder, im Glauben stark und edlen Geblütes. Er selbst führte am Ostermontag des Jahres 1142 die fromme Kolonie in ihr neues, ihm selbst so teures Vaterland. Von dem Siege Heinrichs im Löwenkampfe und zum Gedächtnisse eines früheren, wundersamen Sieges, den Bernhard für Thiemo, den vertriebenen Erzbischof von Salzburg, erfochten hatte, wurde das neue Zisterzienserkloster das Siegerkloster (S. Maria de Victoria) genannt, aus dem später Viktring wurde.
Quelle: Franz Pehr, Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913