Der treulose Liebhaber

Drunten im Loschental hatte ein reicher Bauernsohn eine Liebschaft mit einem Mädchen angefangen, die nicht ohne Folgen geblieben war. In einer der Nächte nach Neujahr, als er wieder am Kammerfenster erschienen war, machte ihm das Mädchen davon Mitteilung, in welchen Umständen es sei, und dass es Zeit wäre, an das Heiraten zu denken. Da wurde der Bauernsohn sehr ungehalten und unwirsch und meinte nur, er gehe heute lieber zum »Bauernwirt« nach Altendorf tanzen und denke weder an das Heiraten und schon gar nicht mehr an das Zurückkommen. Es half keine Bitte und kein Weinen, der lustige Liebhaber war schon verschwunden, hinein zum »Bauernwirt«, wo flotte Musik erklang. Während des ganzen Abends jedoch kam bei ihm keine rechte Fröhlichkeit auf, und noch vor Mitternacht machte er sich auf den Heimweg. Als er vom Talboden herauf die erste Höhe gewann, fiel so dichter Nebel ein, dass man kaum etliche Schritte machen konnte. Der nächtliche Wanderer kam vom Weg ab und ging, einem sonderbaren Gefühl folgend, in den milchigen Nebel hinein. Fast schien es ihm, dass er gar nicht am Erdboden auftrete, sondern von einem Auftrieb getragen, den Höhen zuschreite. Mitten in der Wanderung gesellte sich ein zweiter Weggenosse zu ihm, der fröhlich auf ihn einredete und zum raschen Gehen aufmunterte. Als er jedoch den Bauernsohn gar bei den Händen fassen wollte und noch zu rascherem Gehen aneiferte, wurde dieser stutzig und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Es überkam ihn eine furchtbare Ahnung. Da schlug wuchtig und ehern die Turmuhr in St. Paul die mitternächtliche Stunde, und der Nebel hob sich. Der Bauernsohn sah einen steilen Felsabsturz oben am Rabenstein, den er hinuntergestürzt wäre, wenn nicht die Glocke geschlagen hätte. Sein fremder Begleiter jedoch war spurlos verschwunden. Im selbigen Fasching aber noch ehelichte der Bauernsohn seine Braut.

Quelle: Richard Schmied, Sagen aus der Faschingszeit, in: Kärntner Landmannschaft, 1968, Band 2, S. 10 f., zit. nach Sagen aus Kärnten, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1993, S. 167 - 168.