DIE QUELLE VON ST. LEONHARD
Wo heute das vielbesuchte Bad St. Leonhard ob Himmelberg steht, weidete vor vierhundert Jahren ein Hirte aus der Benesirnitz sein Vieh. Da schien ihm eines Tages, als ob sich etwas wie ein weißes Tuch vom Himmel zur Erde niederlasse. Als er am folgenden Morgen mit seiner Herde wieder in jene Gegend kam, begann plötzlich sein weißer Stier mit den Hörnern und den Vorderfußen die Erde aufzuwühlen. Der Hirte trat hinzu und sah zu seinem Erstaunen eine helle Quelle hervorsprudeln, wo er früher niemals eine bemerkt hatte. So oft er nun in die Nähe der Quelle kam, ließ sich der Stier an ihr nieder und verließ sie dann in freudigen Sprüngen.
Der Hirte, der schon lange einen schmerzhaften Fuß hatte, trank nun ebenfalls aus dieser Quelle und badete seinen Fuß darin. Schon nach wenigen Tagen zeigten sich ihre Heilkräfte, denn der Leidende fühlte sich besser und war bald darauf von seinem jahrelangen Übel befreit. Der fromme Hirte betete nun oft bei der wundertätigen Quelle und dankte Gott für seine Genesung. Da sah er eines Tages in den Ästen einer uralten Buche eine Statue; der herbeigeholte Pfarrer von Sirnitz erkannte sie als das Bildnis des heiligen Leonhard und nahm sie mit sich nach Hause. Allein am andern Tage sah sie der Hirte abermals in dem Gezweige der Buche; und so gut sie der Priester in der Kirche verwahrt zu haben glaubte, stets fand sie sich am alten Orte wieder ein. Der Pfarrer erkannte hierin einen göttlichen Auftrag, leitete bei dem Adel und den Bauern der Umgebung eine Sammlung ein und bald erstand über der Buche nahe der Quelle eine dem heiligen Leonhard geweihte Kapelle. Die noch heute über der Tür befindliche Jahreszahl zeigt 1528 als die Zeit ihrer Erbauung an.
Bald kamen Kranke, welche an der Heilquelle Genesung suchten und in der Leonhardkapelle beteten. Doch soll ein reicher ungarischer Graf am meisten zur Blüte des Badeortes beigetragen haben. Er lebte, wie es heißt, sehr fromm und gottesfürchtig, hatte aber bei all seinem Reichtum das Unglück, blind zu sein. Kein Mittel gab ihm Hoffnung auf Heilung. Da hörte er von der Wunderquelle zu "Buchach" (so hieß damals St. Leonhard). Er beschloß, eine Kirche zu bauen, wenn er Heilung fände. Und in der Tat, kaum hatte er seine geschlossenen Augen mit dem frischen Quellwasser gebadet, öffneten sie sich dem Lichte. Seinem Worte getreu, erbaute er die Kirche zu St. Leonhard und stattete sie reichlich aus. Sein Name ist unbekannt geblieben.
Franz Pehr, Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, 5. Auflage, Klagenfurt 1960, Nr. 20, S. 42