DAS VENEDIGERMANDL IM LANTSCHNIKWALDE

Vor langer Zeit kam alljährlich ein Welscher nach St. Ulrich bei Feldkirchen. Ohne lange zu verweilen, ging er jedesmal in den Lantschnikwald und kehrte schwer beladen daraus zurück. Niemand wußte, woher er kam und was er im Walde zu tun habe, nicht einmal der Bauer, bei dem er übernachtete. Auch war aus ihm nichts herauszubringen. Einmal aber entschlüpften ihm die Worte: "Würden die Menschen die Gegend kennen, brauchten sie sich nicht so zu plagen." Und als das "Venedigermandl" im nächsten Jahr wiederkam und sogar einen jungen Gefährten mitbrachte, schlich ihnen der Bauer nach in den Wald. Vor einem Hügel machten sie halt. Der Welsche murmelte einige Worte und machte mit einem Stab mehrere Zeichen auf den Felsen. Der Fels tat sich auf, Gold schimmerte aus der Tiefe, und die beiden Welschen stiegen mit ihren Kraxen hinein; es dauerte nicht lange, kamen sie schwerbepackt zurück. Als der Bauer das Gold in ihren Körben glänzen sah, konnte er sich nicht mehr länger halten und stürzte mit drohender Miene vor die Erschrockenen hin: sie sollten ihm entweder ihre Schätze abtreten oder ihm erlauben, sich solche aus der Grube zu holen. Sie entschieden sich für das letzere. Aber als der Bauer hinabgestiegen war, berührte der Alte, einige Worte murmelnd, mit seinem Stabe den Felsen, der sich darauf wieder schloß. Der Bauer indessen war ganz benommen von den Schätzen des Berges und nahm sich davon, soviel er tragen konnte. Aber er fand den Ausgang nicht mehr und irrte verzweifelt umher. Endlich hörte er von ferne ein Rauschen. Dem ging er nach und wirklich fand er einen Bach, der ihn schließlich durch eine enge Öffnung ins Freie führte. Als er wieder das Tageslicht erblickte, fand er sich in einer ganz fremden Gegend.

Am Heimweg aber traf er noch die beiden Welschen, die sich bei seinem Auftauchen entsetzt auf die Knie warfen und ihn um Verzeihung baten. Sie verrieten ihm das Geheimnis des Stollens, nur mußte er ihnen versprechen, es niemandem weiterzusagen. Dann verschwanden sie und ließen sich nie mehr in der Gegend blicken.

Jahre vergingen, der Bauer wurde ein reicher Mann, der in den fremden großen Städten zu tun hatte. Einmal, als er gerade in einer italienischen Stadt die prächtigen Häuser betrachtete, kam plötzlich ein Lakai auf ihn zu und lud ihn in einen schönen Palast ein, den er soeben bewundert hatte: sein Herr erwarte ihn. Er folgte ihm und wurde drinnen zu seinem größten Erstaunen vom Venedigermännchen empfangen, das ihm die Schätze der heimatlichen Berge verraten hatte. Es zeigte ihm seine prachtvollen, kostbar ausgestatteten Räume und sagte, diesen ganzen Reichtum habe es aus dem Lantschnikwalde geholt. Schließlich führte es den Bauer noch an eine reich besetzte Tafel. Als letzter Gang aber wurde eine zugedeckte Schüssel serviert, in der sich eine Pistole befand. Mit dieser Pistole drohte der Herr, ihn zu erschießen, wenn er nicht noch einmal schwöre, das Geheimnis des Schatzes niemandem zu verraten. Der Bauer mußte nun, da ihm sein Leben lieb war, den Schwur ablegen und kehrte wieder nach Hause zurück. Mit seinem Reichtum tat er viel Gutes, aber sein Geheimnis nahm er mit ins Grab. Seit seinem Tode ist der Berg verschlossen und niemand kennt den Eingang zu seinen Schätzen.

Franz Pehr, Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, 5. Auflage, Klagenfurt 1960, Nr. 19, S. 40