DER GRABENSEESCHUSTER

Am Grabensee (sumpfige Waldmulde zwischen Grammatl und Penk, Bezirk Neunkirchen) stand einst ein ödes Schloß, in dessen Turme ein gottloser Schuster hauste. Der entheiligte in schnöder Erwerbshast den Tag des Herrn, indem er sogar zur Zeit der Feiermesse arbeitete. Darob versank das Schloß mit ihm in die Tiefe. Auf den Trümmern des Turmes, welcher ein wenig aus dem Boden vorragte, sahen die Hirten wiederholt an Sonn- und Feiertagen während des vormittägigen Gottesdienstes ein Männchen mit grünem Hute sitzen, welches fleißig eine Sohle klopfte, dabei sein Käppchen abschüttelte und ihnen zurief: "Klaub' mir mein Kapperl auf - I gib dir ein' Kreuzer!" Andere, die mitten über den Grabensee gingen, sahen den unseligen Schuster, wie er rührig hämmernd auf dem Gipfel einer Fichte saß und rief: "Klaub' mir mein Kapperl auf - Kriagst a Geld!" Noch andere, die ebenfalls spät nachts über den gefürchteten Grabensee wanderten, hörten das Gespenst bloß, wie es auf der Ruine hämmerte, sahen es aber nicht. Dadurch verschreckte der verdammte Schuster einst viele nächtliche Wanderer vom rechten Wege. Jetzt aber läßt er sich schon lange weder sehen noch hören. Wahrscheinlich vertrieb ihn das geweihte Muttergottesbild, welches jemand dort an eine Fichte gehängt hat.


Kommentar: (Leeb, Niederösterreichische Sagen.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band II, S. 34