Die böse Schlossfrau von Goldegg

Die Sage von der Entstehung der Pfarrkirche in Neidling

Der geschichtliche Ursprung der Pfarrkirche "St. Peter und Paul" zu Neidling, Bezirk St. Pölten-Land, Niederösterreich, verliert sich im Dämmerlicht der Sage. Die Erzählung berichtet von einer herzlosen Goldegger Schlossherrin, die zur Sühne für ihre Freveltaten die Kirche erbauen ließ.

In "Beiträge zur Volkskunde der St. Pöltner Heimat" hat nach alter Überlieferung Josef Buchinger, 1962, die Gräueltat festgehalten:

"Auf dem Schlosse Goldegg lebte vor langer Zeit eine grausame Schlossfrau. Sie steckte ihre neun Kinder in ein großes Fass und ließ es über den Berg hinabrollen. Am Fuße des Berges blieb das Fass stehen. Die neun Kinder waren tot. Später bereute die Schlossfrau ihre grausame Tat. Sie ließ an der Stelle, an der das Fass stehen blieb, eine Kirche erbauen. Bald bildete sich um die Kirche ein kleiner Ort, den man zur Erinnerung an die 9 Kinder "Neunlinge" hieß. Später wurde aus diesem Namen Neidling."

Diese Geschichte wird in einer anderen Wiedergabe, der Lehrersammlung Neidling, (aus den Jahren um 1920), noch theatralischer erzählt. Hier die ergänzenden Details:

Die Schlossfrau soll Nägel in das Fass geschlagen haben, um ja sicherzugehen, dass keines ihrer Kinder am Leben bleibt. Logisch, dass die Mörderin bis heute keine Ruhe finden kann. In mondhellen Nächten wandelt eine weißgekleidete Frau, verzweifelt die Hände ringend, zur Geisterstunde den Unheilsweg des Fasses folgend.

Diese Geschichte von der bösen Schlossfrau hat der Schreiber dieser Zeilen bereits in der Volksschule gehört und wiederholt, während des Schulweges, sich die Frage gestellt, wie weit wohl ein Fass vom Schloss Goldegg rollen mag. Trotz blühender Phantasie und der Bedachtnahme verschiedener Rollstrecken war es nicht vorstellbar, dass ein Fass wirklich bis nach Neidling zu rollen vermag.

Somit stand fest, dass hier ein Märchen zum Besten gegeben wird. Ohne jeden realen Hintergrund !

Erst mit der vergleichenden Geschlechterforschung der Herren von Goldegg in Niederösterreich einerseits und jener von Goldegg in Salzburg, offenbarte sich, dass die ganze Geschichte wohl nicht frei erfunden ist:

Sie müssen sich das Ende des 13. Jahrhunderts als eine recht wilde Zeit vorstellen. In Niederösterreich regieren seit einigen Jahren die Habsburger und einer ihrer massivsten Gegner ist der Salzburger Erzbischof. Man schrieb das Jahr 1298 als ein gewisser Konrad von Goldegg in Salzburg recht spektakulär dem Erzbischof gegenüber den Treueeid bricht und in Diensten Albrecht des I. von Habsburg tritt. Man kann annehmen, dass sich der Goldegger sein Handeln wohl überlegte, hatte der doch am Rande des Dunkelsteinerwaldes eine kleine Burg, die von seinem Vertrauensmann, dem Ritter Wenzel, verwaltet wurde. Mit ihm zogen seine Frau Mechthild und seine neun Kinder nach Niederösterreich.

Lange konnte sich Konrad seiner Besitzungen in unserer Heimat nicht erfreuen, denn bereits 1302 stiftet seine Frau Mechthild „für sein Seelenheil“ (also ist Konrad bereits verstorben) an das Kloster Melk eine beachtliche Summe. Die frommen Brüder von Melk schreiben die Stiftung auf Pergament und bestätigen, weswegen Mechthilds Vermächtnis bis zum heutigen Tag in Erinnerung blieb.

Das Schloss Goldegg in Niederösterreich © August Pachschwöll
Das Schloss Goldegg in Niederösterreich

Urkundlich belegbar ist, dass eine Goldeggerin mit neun Kindern zurückblieb und – einzigartig in der Salzburger Geschichte - einen Anteil am Salzabbau in Dürrnberg bei Hallein erbt. Mit einem Teil ihrer Kinder geht sie nun nach Salzburg zurück. Der Rest ihrer Kinder bleibt in Niederösterreich. Dies ist insofern möglich, da ein alter Vertrag mit dem Erzbischof von Salzburg besteht. Mit Brief und Siegel war seinerzeit beschlossen worden, dass bei einem Kindersegen ein Teil der Kinder in Diensten des Erzbischofs zu geben ist. „Kinderteilung“ nennt die Geschichtsforschung solch ein Abkommen.

Die für ihre Zeit überaus vermögend gewordene Goldeggerin wird vom Erzbischof „erleichtert“ wo es nur geht, denn das einträgliche Geschäft der Salzgewinnung ist alleinigliches Privileg des Bischofs – da hat eine Frau nichts verloren!

Zu dieser Zeit gibt es nur eine Handvoll wirklich untadeliger Männer. Einer davon ist der Ritter Gerhoch von Radeck, der immer wieder gerufen wird, wenn es bei den vielen Streitereien nicht mehr weitergeht. Als Richter ist Gerhoch bei den Bischöfen zu Salzburg und Passau sowie auch bei den Habsburgern mit diplomatischen Aufgaben betraut. Gerhoch von Radeck nimmt sich Mechthild von Goldegg an und versucht sie zu schützen wo es nur geht. Ab 1302, in der Stiftungsurkunde für Melk, wo Gerhoch erstmals bei der Goldeggerin auftritt, ist sein Beistand noch über Jahrzehnte maßgebend bei der Goldeggerin in Salzburg feststellbar.

Sagenerzähler wollen Wahrheitsberichte geben, und sie tun es – gemäß ihrem Vorstellungsvermögen und ihrer Weltsicht. Dass „etwas mit den Kindern nicht stimmte“ wurde erzählt, war doch in Niederösterreich die Form der „Kinderteilung“ gänzlich unbekannt. Im Mittelalter wurde mit Fässern nicht nur Wein, sondern auch Salz transportiert – also finden wir ein Salzfass in die Erzählung wieder. Belegbar und Tatsache ist, dass ein Teil der Kinder in Niederösterreich zurückgeblieben ist.

Schält man den historischen Kern dieser Legende heraus, so offenbaren sich auffallende Hinweise zu Mechthild von Goldegg. Es dürfte keinen Zweifel geben, dass damit der Gedanke an eine böse Schlossfrau zu verwerfen ist.

Verehrte Leser, Sie finden es vielleicht beschämend, dass man Mechthild von Goldegg so verkennen konnte. Zu der falschen Vorstellung hat sicher das Fremde und ihr Reichtum beigetragen – bis ein Bild geboren war, dass einem das Blut in den Adern erstarren ließ.

August Pachschwöll

Wer weiterführende Quellenangaben und Literatur zu diesem Vorfall erfahren möge, sei: „Ritterstolz und Willkür, Vom mittelalterlichen Leben zwischen Dunkelsteinerwald und Tullnerfeld, August Pachschwöll, 1995, zu empfehlen.

Vgl. Link: https://pachschwoell.wordpress.com/

Quelle: Emailzusendung von August Pachschwöll, 16. Februar 2009