Der Fischer von Wallsee
Zur Zeit der Völkerwanderung lebte in Wallsee ein heidnischer Fischer,
der noch den Götzen auf der Haussteininsel opferte. Sein einziger
Sohn war vor Jahr und Tag fortgezogen, da das Fischerhandwerk, seit die
Wallseer Römerburg in Trümmern lag, nichts mehr eintrug. Der
alte Fischer blieb und nährte sich hauptsächlich von der Strandräuberei.
Besonders beim Wallseer Schwall spülte die Donau die Leichen von
Ertrunkenen und anderes Schwemmgut ans Ufer. Dort fischte nun der Alte
mit einem Bootshaken die Leichen heraus, beraubte sie ihrer Kleider und
Wertsachen und stieß die Körper wieder ins Wasser zurück.
Einmal in einer sehr stürmischen Nacht, als die Donau gerade Hochwasser
führte, klopfte es an der Tür der Fischerhütte. Der Fischer
öffnete und erblickte einen kleinen, hageren und bärtigen Mann,
der in eine rauhe Kutte gehüllt war und dessen Füße in
Sandalen steckten. Es war der heilige Severin. Von Batava (Passau) über
Lauriacum (Lorch) war er gekommen und wollte in seine Klause nach Favianis
(Mautern). Der demütige Gottesmann bat um eine Herberge in der schrecklichen
Gewitternacht und versprach dem Fischer für die gute Tat den Segen
des Christengottes. Da lachte der Heide höhnisch und meinte, er habe
vom Segen dieses Christengottes noch nichts verspürt, wohl aber hätten
ihm seine Heidengötter erst kürzlich reiches Strandgut geschickt,
als das Unwetter die alte Kirche in Lauriacum weggerissen. Sankt Severin
wollte entgegnen, doch der wilde Heide stößt den heiligen Mann
in die Gewitternacht hinaus. Im ersten Morgengrauen ist der Alte schon
beim Schwall und späht nach Strandgut aus. Plötzlich sieht er
einen menschlichen Arm aus den wildschäumenden Donaufluten emporragen.
Er stößt seinen Bootshaken gierig in den toten Körper
und zieht den Leichnam ans Land. Sogleich durchwühlt er die Kleider
des Toten. Doch wie er einen Blick ins Gesicht des Ertrunkenen wirft,
stößt er einen entsetzlichen Schrei aus und stürzt tot
zu Boden . . . der Tote, den er berauben wollte, war sein eigener Sohn!
(Nach Ortmayr, Heimerl.)
Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten. Amstetten 1951. S. 34 - 36.