Der Geist von Holzing

Im Bauernhause Entenfeld in Holzing gab es vor langer Zeit einen Todesfal!. Wie es Brauch ist, kamen die Nachbarsleute drei Abende hintereinander im Trauerhause zum Rosenkranzbeten, der sogenannten Totenwache, zusammen. Eine Frau aus der Nachbarschaft ging auch mit. Ihr Mann sollte sie gegen Mitternacht abholen, weil sie sich davor fürchtete, allein durch den Wald heimwärts zu gehen. Wie verabredet, kam der Mann gegen Mitternacht zum Totenhause. Weil er wissen wollte, ob die Leute mit der Totenwache schon fertig wären, guckte er zum Fenster hinein. Er wußte nicht, daß jeder Blick in eine Totenstube ein schwerer Frevel ist. Plötzlich öffnete sich die Haustüre und eine weiße, hagere Gestalt schwebte auf den Fenstergucker zu. Dieser erschrak furchtbar, er lief, So schnell ihn die Beine tragen konnten, ein Stück in die Wiese hinaus und verkroch sich in einem Heuschober. Nach einer Weile wagte er sich hervor und lauschte in die Nacht hinaus. Es rührte sich nichts, nur der matte Schein der beleuchteten Bauernstube schimmerte herüber. Zagenden Schrittes ging er dorthin. Gerade kamen die Totenwächter heraus. Auf dem Heimwege erzählte der neugierige Mann seiner Frau das seltsame Erlebnis und er nahm sich vor, nie wieder durch das Fenster in eine Totenstube zu blicken. (Resch.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 30
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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