Der Grauhund von Salaberg

Vor Zeiten besaß eine Schloßherrin auf Salaberg einen gar üblen Ruf, denn ihr Lebenswandel war alles eher als gut. Ihr gräflicher Gemahl war über die schlimmen Eigenschaften seiner von ihm überaus geliebten, schönen Gattin so untröstlich und unglücklich, daß er schließlich einen Kriegsfall als willkommene Gelegenheit benützte, von daheim fortzukommen.

Und seither blieb er verschollen. Das einzige Geschöpf, zu dem die stolze Frau wirklich etwas wie Zuneigung zeigte, war ein großer, grauer Hund mit grünschillernden Lichtern, den der Graf einst als kleinen Welpen von einer Jagdreise aus einem fremden Lande mitgebracht hatte. Die Leute merkten aber bald, daß dieser Hund nicht recht geheuer war. Schon sein Aussehen glich ja nicht dem eines richtigen vierbeinigen Begleiters des Menschen, sondern eher dem seines wilden Vetters draußen in der Wildnis des Ennswaldes, dem Grauhund. Und wehe, wer dem herrschsüchtigen Weibe im Waldschlosse Salaberg nicht zu Willen war oder irgendwie seinen Plänen im Wege stand, er setzte sich der Gefahr aus, die grausige Bekanntschaft dieser Hundebestie zu machen. Was Wunder, daß man schließlich munkelte und sich zuraunte, unter der Gestalt dieses Hundes verberge sich ein satanisches Wesen, ein Dämon, mit dem die Gräfin im Bunde wäre. Auf einem ihrer wilden Jagdritte, bei welchen sie wahllos durch die prangende Feldflur der Bauern raste, verunglückte sie zuletzt tödlich. Als man sie in der Familiengruft bestattet hatte, legte sich der geheimnisvolle Hund auf den Gruftdeckel. Und dort lag er nun Tag für Tag. Alle Versuche, ihn zu vertreiben, blieben vergeblich. Kam jemand in die Nähe, so sperrte er wütend seinen fürchterlichen Fang auf, dem Feuer und Rauch entströmten. Ein hünenhafter Schmied, der sich mit einer glühend gemachten Eisenstange dem Grabe näherte und desgleichen ein Jäger, der sich mit seiner Armbrust anzupirschen versuchte, mußten daran glauben, sie wurden von dem Gespensterhund in Stücke zerrissen. Auch Beschwörungen mit Kruzifixen und mit Weihwasser verfingen nicht. Längst schon wuchs Gras um die Gruft, die graue Bestie aber wich nicht von derselben, zumindestens nicht tagsüber. Nachts hörte man sie manches Mal durch den Salabergerwald schnauben. In die Nähe der Grabstätte wagte sich niemand mehr, bis endlich jemand auf den Einfall kam, den Eremiten, der in einer weltabgeschiedenen Klause des Ennswaldes sein Dasein führte und von dem man sich erzählte, daß ihm alle Tiere der freien Wildbahn gleich Haustieren zugetan seien, zu Rate zu ziehen. Und dieser Eremit, eine hohe, edle Gestalt, eher einem Ritter als einem schlichten Einsiedler gleichend, sagte auch zu und begleitete die Bittsteller nach Salaberg. Eine Schar Männer, mit allen möglichen Mordwerkzeugen versehen, wollte sich ihm zur Verfügung stellen, doch er wies alle zurück. Einige aber schlichen ihm heimlich nach und konnten sodann beobachten, wie der Klausner ruhig und gelassen und gänzlich unbewaffnet, so wie er gekommen, auf das Grab der Gräfin zuschritt. Einige Schritte vor diesem blieb er, wie in Gedanken versunken, stehn und schien sich vorerst um dessen unheimlichen Bewacher gar nicht zu kümmern. Erst als sich der Grauhund hoch aufrichtete und die dolchartigen Zähne bleckte, wobei er starr gleich einer Statue auf dem Gruftsockel verharrte, lenkte er seine Blicke auf ihn. Die Beobachter verhielten den Atem vor Spannung und Erregung. Doch staunend gewahrten sie, wie der Rachen, ja die ganze Gestalt des Raubtieres förmlich zusammenklappte. Und nun eine flüchtige Handbewegung des Einsiedlers, und der Grauhund sprang mit einem mächtigen Satze auf ihn zu und beleckte seine Hände! Lammfromm trabte er hinter der sich nach einem langen Blicke vom Grabe entfernenden Gestalt her und verschwand mit ihr in des Ennswaldes grüner Unendlichkeit. Seither hat niemand mehr den Grauhund gesehn. Der Einsiedler galt aber fortan als Heiliger. (Wallner.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 94
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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