Die Kreuzrunse bei St. Valentin

Einst befand sich an der Stelle der "Kreuzrunse" ein Fahrweg, der sich am Fuße des Rohrbach- und Windberges von Gutenhofen nach Altenhofen hinzog. Damals gab es noch keine Eisenbahn, aller Warenverkehr wurde auf der Landstraße mit Pferdewagen besorgt. Lustig knallten die Peitschen von früh bis spät, und in den Gasthöfen an der Straße ging es oft hoch her. Um mit schwerer Last die gefürchteten Strengberge befahren zu können, war damals ein Vorgespann nötig. Die großen Fuhrmannsherbergen, unter ihnen der heutige Gmeinerhof in Klein-Erla, verdankten ihr damaliges Aufblühen vielfach auch dem Vorspanndienst. Auf diese Weise verdiente mancher Bauer einen guten Gulden.

In jener Zeit sprengte tagtäglich, aus der Haager Gegend kommend, ein fremdartig aussehender Mann mit zwei kohlschwarzen Rappen diesen Feldweg entlang, an St. Valentin vorbei, der Landstraße zu. Die hohe Gestalt mit der dunklen Haut und dem gespenstig flatternden Mantel machte auf die Einheimischen einen unheimlichen Eindruck. Die Leute bemerkten bald, daß der Fremde jedem Kreuzstöckl auswich und erkannten ihn als den Höllenfürsten. Man wußte auch, daß er jedem armen Fuhrmann gegen Verschreibung der Seele Vorspanndienste leistete, man erkannte, daß viele Unglücksfälle in der Nähe seiner Reitbahn seinem unheilvollen Einfluß zuzuschreiben waren. So ging es jahrelang dahin, bis es endlich zwei Burschen aus Altenhofen fertigbrachten, ihn zu vertreiben. Sie zimmerten nämlich aus Balken ein wuchtiges Kreuz, gruben nachts an der Stelle wo heute die Altenhofner Straße die Kreuzrunse überbrückt, ein tiefes Loch und rammten das Kreuz hinein. Am Morgen legten sie sich sodann auf die Lauer, um den Teufel beobachten zu können. Sie wußten, daß er stets um die Zeit des Aveläutens diese Stelle erreichte. Da geschah es, daß ein mauerdicker Nebel einfiel, so dicht und undurchsichtig, daß man kaum die ausgestreckte Hand vor sich erkennen konnte. Die Burschen mußten daher ganz nahe zum Kreuz. Das Gebetläuten erklang, und alsbald wurde auch ein dumpfes Pferdegetrabe vernehmbar. Es kam näher und näher, und jetzt tauchten aus dem Nebel die verschwommenen Umrisse der Pferde auf. Da bekamen es die beiden doch mit der Angst zu tun, und sie nahmen Reißaus. Hinter ihnen entstand aber ein derartiger Höllenlärm, daß ihnen die Haare zu Berge standen! Da rannten sie, was die Beine nur hergaben.

Als es Tag geworden war, fand man das Kreuz durch einen furchtbaren Anprall zerschmettert, Blutflecken klebten an den Holztrümmern. In der Ebene ließ sich der gruselige Vorspannreiter nicht mehr sehen, doch droben in der Wolföd, auf den verwurzelten Holzwegen und entlang der schilfbewachsenen Gräben von denen noch heute einer der "Teufelsgraben" genannt wird, da sah man ihn, von Lembach über Rittmannsberg herkommend, noch des öfteren gegen die Strengberge hinsprengen. Aus seinem alten Reitweg aber war eine Runse geworden, die alle Quellen der umliegenden Hänge dem Erlabach zuführt. Zum Andenken an das grausige Erlebnis wurde sie "Kreuzrunse" geheißen. (Wallner.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Amstetten 1951,
S. 74

Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Juli 2006.
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