Die Linde von Kümberg
Schon im Jahre 1120 wird "Curimberg", das heutige Kürnberg, urkundlich erwähnt. Die folgenden Jahrhunderte sind natürlich nicht spurlos vorübergegangen. Es haben Kriegslärm, Pest und Feuersbrunst, Reformation und Gegenreformation Eingang in diese Bergesstille gefunden. Am Eingang ins DörfI, von St. Peter in der Au kommend, steht eine mächtige Linde. Sie besteht eigentlich aus sieben Stämmen, die nur den knorrigen Wurzelstock, der ungefähr ein Meter aus der Erde ragt, gemeinsam haben. Unter der hohen, breiten Krone lädt ein Bankerl zur Rast ein. Der hl. Jakobus der Ältere hat sich für immer unter ihren sicheren Schutz begeben. Zur Blütezeit weht ein süßer Duft hernieder. Das Gesumm und Gebrumm der unzähligen Bienen und Hummeln ist dem Rauschen einer mächtigen Orgel vergleichbar, die in der Ferne mit allen Registern erklingt. Wer nicht bloß zu rasten, sondern richtig zu ruhen weiß, den entrückt der süße Duft in eine ferne und ernste Zeit. Ihm wird das Summen und Brummen zum Sturmesläuten, das einst diese Stille durchschnitt.
"Ja, gnade dir Gott, du Ritterschaft, der Bauer stund auf im Lande!" Martin Luthers neue Lehre versprach Rettung aus Schmach und Unterdrückung. Maximilian II. war der Reformation geneigt. Sein Sohn und Nachfolger verfolgte sie mit allen Gewaltmitteln. Unmenschliche Grausamkeiten ließ sich sein Kriegsvolk zuschulden kommen, die die Bauern zur verzweifelten Selbsthilfe trieben. Allerorts flammte die Empörung auf. Als nun der verhaßte Graf Herberstorff, der in Linz amtierende bayrische Statthalter, das gräßliche Frankenburger Würfelspiel befahl, löste diese Greueltat im ganzen Land Oberösterreich und auch in unserem Mostviertel Wut und Empörung aus. Allzuvielen Mostviertler Bauern waren noch die grausamen Urteile des Jahres 1597 in Erinnerung.
In jener Zeit, in einer gewitterschwülen Nacht, es mag im Juni 1625 gewesen sein, rauschte es im Blättermeer der Kürnberger Linde besonders geheimnisvoll. Der Mond hatte sich zwischen schweren Gewitterwolken verborgen. Über Steyr und Linz wetterleuchtete es. - Aus dem Halbdunkel lösten sich Gestalten, die der Linde zustrebten, Männer, Bauern aus der Umgebung. Kurze Worte der Begrüßung wurden gewechselt. Zwei, die aus der Richtung von "Böheimberg" gekommen waren, traten nun in die Mitte des Kreises, den die Männer gebildet hatten. Der größere von beiden sprach ernste Worte zu den Versammelten, die mit Zustimmung aufgenommen wurden. Es waren gewiß zwei von Fadingers Leuten, die Steyr besetzt hielten. Hier wurde Kriegsrat gehalten. Als der Sprecher geendet hatte, reichte er jedem einzelnen die Hand. Es waren Handschläge, die ein heiliges Versprechen bekräftigten. Sie alle waren nicht unvorbereitet gekommen. Jeder trug, soweit dies erkennbar war, eine Gabel oder einen Spieß über die Schultern gelegt. Auch die Kürnberger hatten von der grausamen Tat des Grafen Herberstorff gehört. Sie wollten mit dabei sein, wenn es galt, für eine gerechte Bauernsach zu kämpfen. Der Sprecher, der an die Spitze der kleinen, mutigen Schar getreten war, wandte sich ihr kurz zu und sprach laut und vernehmlich: "Auf, Manner, es mueß sein!" Dann setzte sich der Trupp schweigend in der Richtung gegen Steyr in Bewegung. Nach wenigen Minuten hatte ihn die Nacht aufgenommen.
Die Linde, als einzige Zeugin dieser Begebenheit, hat das Geheimnis bis zum heutigen Tage treu behütet. (Tscholl.)
Quelle: Sagen aus
dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes
Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 89
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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