Vom Bründl in Lottersberg
Das friedliche Dorf
Lottersberg, auf sonniger Höhe, mitten im Dunkelsteinerwalde gelegen,
mit dem Ausblick auf den prangenden Jauerling, hat keinen brauchbaren
Brunnen. Die Bauern holen sich das Trinkwasser von einer frischen Quelle,
"dem Brünndl" im nahen Walde, das noch in meiner Knabenzeit
als Heilbrünndl galt. Die alte Glatzengroßmutter, die am Anfang
dieses Jahrhunderts (um 1900) in ihrem Ausgedingstüberl zu Lottersberg
verstorben ist, hat mir folgendes Geschichtchen erzählt:
Da war einmal ein Bursch bei uns in Lottersberg heroben, der war alle
weil lustig und ein guter Bursch war er auch. Auf einmal kriegt er ein
Augenleiden, er weiß nicht wie und die Augen haben ihm so weh getan,
dass er keine Sonne, kein Licht hat anschauen können. Da ist er zum
Doktor nach Gerolding gegangen und dann gar nach Melk hinausgefahren.
Aber kein Mittel hat ihn helfen können. Die Augen sind immer ärger
geworden. Keine Arbeit und nichts hat ihn mehr gefreut. Da sagt seine
Mutter einmal: Komm Toni - so hat er geheißen - gehen wir zur Bildbuchen,
die Mutter Gottes wird dir helfen. So sind sie dann gegangen, aber nicht
auf der Straße, sondern mitten durch den schattigen Wald, damit
ihm das Licht nicht so weh tut. Ganz brennrot waren seine Augen. Den ganzen
Weg hin haben sie gebetet, einen Rosenkranz nach dem anderen. Und wie
sie bei der Bildbuchen angekommen, sind sie hineingegangen und haben sich
niedergekniet und haben recht fleißig und lang gebetet. Die Bäuerin
schaut in einem fort der Muttergottes in die Augen. Auf einmal sagt sie:
Heilige Maria, Muttergottes, mach deinen heiligen Mund auf und sag mir, was der Toni tun soll, damit er wieder gesund und munter wird!
Und man möcht`s nicht glauben, da macht die Muttergottes ihren Mund wirklich auf und sagt:
Ihr sollt nicht umsonst dagewesen sein. Geht nur wieder heim und der Toni soll sich beim Bründl in Lottersberg die Augen waschen.
Das hat der Toni noch am selben Abend getan und kaum hat er sich die Augen mit dem Bründlwasser nur benetzt, so waren sie völlig genesen und er war wieder gesund und glücklich wie früher.
***
Anmerkung:
Die Erzählungen über die Bildbuche
geben Einblick in rätselhafte Sagen und geheimnisvolle Begebenheiten.
Dass im Volksglauben derartige Märchen entstanden sind darf nicht
verwundern. Wir können sie nicht alle ergründen. So bleibt unserer
Nachwelt noch genug Rätselhaftes und Mystisches übrig, worüber
die Menschen sich den Kopf zerbrechen können.
Quelle: Lehrersammlung Neidling, um 1930, Emailzusendung von August Pachschwöll vom 31. August 2005