St. Pölten oder Maria am See
Wo sich erhebt St. Hippolts Stadt
mit hohem Dom auf grüner Flur,
da stand in uralt grauer Zeit
ein einsam Frauenkirchlein nur.
Und Wasser deckte rings umher
das lange steinbestreute Feld,
die helle Flut der Traisen war
noch hoch durch Berg und Wald geschwellt.
Wie Silberspiegel lag der See
im weiten, dörferreichen Land,
und Weizengold und grüner Klee,
die schmückten seinen Rand.
Doch seine Kron und Perle war
gepriesen fern wie in der Näh',
das Kirchlein auf dem Inselland,
genannt: "Maria in dem See".
Auf flinken Kähnen eilt' das Volk
des Landes hin zum Heiligtum,
und hing sie während des Gebets
an Ringe an dem Bau herum.
Es pilgerte von ferne auch
hieher gar manche fromme Schar
und schiffte singend durch den See
und kniete betend am Altar.
Da kam ein wilder Heidenfürst
und machte zinsbar sich das Land,
und legte grausam seinen Zoll
auf jedes Schiff, das stieß vom Strand.
Veröden sollte in dem See
Marias altes Heiligtum
und über seinem Wassergrund
kein Mund verkünden ihren Ruhm.
Dem wehrte der Herr ins einem Grimm
und zeigte seines Armes Macht,
vereitelte des Frevlers Sinn
in einer kurzen Wetternacht.
Er goß vom Himmel auf das Haupt
der Alpen wie zur Sündflutszeit
es zuckt der Blitz, der Donner rollt,
die Erde bebte weit und breit.
Und aus den Bergen stürzt die Flut
zum Strome wird der Traisenfluß,
er füllt den See und seiner Macht
das schwache Ufer weichen muß.
Und immer tiefer wühlt sein Bett
der tolle Fluß zur Donau hin
und sieh! des Sees Wasser all
geleitet gegen Norden ihn.
Doch unbenetzt im Wogendrang
das Kirchlein auf der Insel stand
wie Israel im Roten Meer
umgeben von des Wassers Wand
Ja tiefer senkte sich zum Grund
das Eiland mit dem heil'gen Bau,
auf daß die ganze Gegend würd'
nur eine hügellose Au.
Und als der heitre Morgen kam
durchdrungen von der Reue Weh
der Heidenfürst die Taufe nahm
im Frauenkirchlein - einst im See.
Quelle: Volkssage, gedichtet von Paul Renk.