Die Riesenschlange vom Ufersteig

Vor unendlich vielen Jahren floß die Donau entlang der Hügelkette, die sich von Wallsee nach Stephanshart zieht. Die ganze Au war damals ein von vielen Wasserarmen durchzogenes Sumpfgebiet. Das Steilufer der Donau von Empfing bis hinauf nach Leitzing war dicht bewaldet, und nur ein schmaler Ufersteig schlängelte sich durch dichtverwachsenes Unterholz.

Zur Zeit, da in Salvater noch ein stolzes Schloß stand und die edlen Herren vom benachbarten Schloß Wallsee zu frohem Fest und fröhlicher Jagd nach Salvater kamen, geschah es, daß eine riesige Schange diesen Ufersteig bewachte und niemanden durchließ. Selbst die mutigsten Ritter hüteten sich, auf ihren Jagdzügen in die Nähe des Ufersteiges zu kommen, um ja dem Ungeheuer nicht zu begegnen. Der tapfere Herr von Salvater aber wagte eines Tages doch den Kampf mit der schrecklichen Schlange. Er sattelte sein bestes Pferd, nahm Armbrust und Bolzen und empfahl sich Gott. Nicht lange ritt er auf dem schmalen Ufersteig, da erblickte er den mächtigen Schlangenleib, geringelt um den dicken Arm einer Pappel, in der Sonne glänzen. Mit aller Kraft spannte er die Armbrust, und tief bohrte sich der Bolzen in den Leib des Untieres. Das schwer getroffene Ungeheuer aber verfolgte den entsetzt fliehenden Ritter. In der Sommerau war sein Pferd mit den Kräften zu Ende, es brach zusammen. Der Ritter wäre wohl das letzte Opfer der todwunden Riesenschlange geworden, hätte ihn nicht eine gütige Donaufee im letzten Augenblick gerettet und zur Burg zurückgebracht. Die Riesenschlange aber verendete in der Nähe des Landgerichtssteines.

Eine ähnliche Sage erzählt uns, daß einst ein Ritter, von Stephanshart kommend, den Ufersteig entlang nach Wallsee ritt. Plötzlich sah er sich der Riesenschlange gegenüber ... Kurz entschlossen faßte er sein Schwert und hieb der Schlange den Kopf ab. Zu seinem Schrecken mußte aber der tapfere Ritter bemerken, daß ihm der Kopf der Schlange folgte. In rasendem Ritte suchte er dem gräßlichen Kopfe zu entkommen. Mit letzter Kraft setzte das Pferd über den Landgerichtsbach. Dort brach es zusammen. Aber auch das furchtbare Schlangenhaupt lag verendet am anderen Ufer des Baches. Heute noch zeigt uns ein hoher Stein die Stelle, wo der Schrecken des Ufersteiges einst verendete. Es ist der Landgerichtsstein bei der Landgerichtsbrücke an der Grenze zwischen Stephanshart und Sindelburg bei Wallsee. (Feigl. )

Anmerkung des Herausgebers: Diese Sagen wurden dem heute 76jährigen Ausnehmer Franz Brandner in Leitzing Nr. 81 als Schulbub von alten Leuten erzählt. Der Brandner- Vater hat als junger Mann noch eine Urkunde gelesen, nach der die Pfleger der Herrschaften Zeillern und Wallsee zwei Bauern wegen Grenzberichtigungen am Matthäustag (die Jahreszahl hat der Brandner-Vater vergessen) zum Landgerichtsstein für eine Verhandlung vorgeladen hatten. (F. A.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 58
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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