Der verzauberte Bäckergeselle
Zu unterst im großen Turme der Stadtburg von Krems ist ein ganz finsteres Verlies, in welchem einst die Gefangenen schmachten mußten. Es hatte ursprünglich gar keinen rechten Zugang. Den Eingekerkerten wurde durch ein Loch im Deckengewölbe das Essen hinabgelassen. Ganz schauerlich soll es in dem Gefängnis gewesen sein, denn die Leichen der verstorbenen Häftlinge blieben gleich auf dem verfaulten Stroh liegen, ebenso aller andere Unrat. Niemand wagte es, in diese Schauderstätte auch nur hinabzuschauen, obgleich es hieß, daß von dem Verlies aus ein unterirdischer Gang zu großen Schätzen führe.
Vor etlichen hundert Jahren schon hat es doch einmal einen Bäckergesellen
nach dem verborgenen Reichtume gelüstet und er entschloß sich,
durch das unheimliche Verlies dahin vorzudringen. Ein anderer junger Bäcker
war leicht zur Teilnahme gewonnen, sie nahmen einen Strick, schlichen
heimlich in der Nacht in den oberen Keller des Burggebäudes und mutig
ließ sich der Anstifter der Tat auf dem Strick ins finstere Loch
hinab. Auf einmal ertönte ein Schrei und dann ein starker "Platscher",
wie wenn jemand ins Wasser gefallen wäre. Der heroben gebliebene
Bäcker lief sofort weg und schrie auf dem hohen Markte laut um Hilfe.
Die herbeigelaufenen Leute brachten Fackeln und Leitern. Man stieg ins
Verlies hinab, sah, daß der Strick gerisen war, fand seinen Boden
wohl voll Knochen, aber kein Wasser und vor allem keinen Bäcker mehr.
Als einzigem Lebewesen war unten nur ein Moltwurm (Feuersalamander) zu
sehen, der die Leute ganz flehentlich anblickte und vor ihnen sonderliche
Bewegungen auffühlte. Alle kamen sofort zur Ueberzeugung, dieses
Tier könne nur der Bäcker sein, der zur Strafe für seinen
Frevelmut verzaubert worden sei. Auch seine Braut stieg voll Verzweiflung
ins Felsengefängnis hinab, sie sah der Molch ganz besonders kläglich
an, als ob er sie um Erlösung bitten wollte, sie glaubte, den Armen
zu verstehen, und machte das Gelöbnis einer großen Busßahrt.
Als die Brave von derselben zurückkehrte, trat ihr der Bräutigam
wieder als wohlgestalteter Bäckergeselle entgegen. Er wurde bald
Meister, heiratete zum Dank für die Errettung aus der Verzauberung
seine treue Geliebte und lebte noch lange als glücklicher Bürger
in Krems.
Quelle: Sagen der Wachau, Hans Plöckinger, Krems a. D. 1926, Nr. 96, S. 98f