Bei der Bergkönigin des Jauerling
An dem Tale, das vom Dorfe Groisbach zum Jauerling hinausführt, hauste einst in einer Mühle eine arme Famitie. Durch zwei Jahre lag die Müllerin schon an schleichender Brustkrankheit danieder. Vergeblich waren viele Aerzte gefragt worden, alles Geld und Gut hatte man bereits auf die Krankheitskosten zugesetzt. Unermüdlich pflegte das 13jährige Gretlein, das einzige Kind, die kranke Mutter. In seinem Kummer vergoß es oft bittere Tränen. Da hörte das Mädchen von einem Einsiedler, der Wundertränklein zu bereiten verstünde, sogleich suchte es ihn auf und erflehte seine Hilfe. Doch der fromme Mann sagte:
"Das Kräutlein, welches Deine Mutter gesund macht, kann nur ein unschuldiges Kind bekommen, welches nichts fürchtet. Wenn Du es zu suchen wagst, mußt Du bei Vollmond zur Quelle des Groisbaches hinaufsteigen. Dort kannst Du um die Mitternachtsstunde das Kräutlein "Widertod" finden, welches aber ganz unscheinbar ist."
Freudig dankte das Kind und wanderte wirklich in der nächsten Vollmondnacht
durch die Schlucht aufwärts. Klopfenden Herzens wartete die Brave
bei der Felsenquelle auf die zwölfte Stunde. Aus einer Höhle
in der Steinwand hörte es dumpfen Lärm und, als vom Kirchturm
herauf die Mitternachtsschläge tönten, erstrahlte das Felsentor
plötzlich in hellem Lichte, vor dem erstaunten Gretchen stand ein
graues Männlein und lud es freundlich zum Eintritt ein, da die Bergkönigin
seiner schon warte, um ihm das gesuchte Kräutlein zu geben. Da folgte
das Kind ohne Zaudern und wurde durch ein langes Tal in eine wundervolle
Landschaft geführt. Die prächtigsten Blumen leuchteten in herrlichen
Farben, entzückende Elfenkinder tanzten auf den hellgrünen Rasenflächen.
Das Schönste aber war ein aus einem kristallklaren See herausragendes
Feenschloß. Dieses war aus weißen, durchsichtigen Steinen
gebaut. Alle Wände schimmerten herrlich und viele Springbrunnen ließen
glitzernde Perlen tanzen. Aus einer Blumenlaube kam unter lieblichen Klängen
die wunderschöne Feenkönigin, von magischem Lichte umstrahlt,
mit ihrem ganzen Hofstaate herbei. Recht mutig begrüßte Gretchen
die hohe Frau
und bat um das Kräutlein Widertod. Diese hieß das Kind herzlich
willkommen, versprach ihm das Erbetene und forderte es auf mit den anderen
Kindern lustig umherzuspringen, ja überhaupt ganz im Zauberreiche
zu bleiben, wo es keine Sorgen gibt. Das Müllermädchen wies
aber das Anerbieten ab, weil es doch von seiner armen Mutter erwartet
werde und daheim viel Arbeit zu machen sei. Dabei fing es bitterlich zu
weinen an. Die Feenkönigin tröstete ihren Besuch voll Rührung
und sagte:
Hab' keinen Kummer mehr, denn eben ist Deine Mutter gesund geworden."
Jubelnd küßte Gretchen der Herrscherin des Berges den Kleidsaum
und eilte aus dem Feenreiche. Als es durchs Felsentor schritt, schien
es ihm, als ob Regen auf sein Kleidchen niederfalle. Trotz der geschauten
überirdischen Pracht freute sich die Maid, wieder in der liebgewohnten,
schönen Heimat zu sein. Wie ein Reh huschte sie der Mühle zu
und stürzte überglücklich in die Arme der wiedergenesenen
Mutter. Voll Staunen lauschten dann die Eltern der Erzählung vom
Besuch im Feenreiche, da bemerkten sie, daß ja ihr Töchterlein
ganz mit Gold behangen war. In dieses hatten sich jene Regentropfen verwandelt.
Damit war auch alle Not im Müllerhause beseitigt und die drei Leute
lebten glücklich bis an ihr Ende.
Quelle: Sagen der Wachau, Hans Plöckinger, Krems a. D. 1926, Nr. 25, S. 33ff