Die Wösendorfer Hexe
Unsere Berichterstatterin kannte sie noch selbst von ihrer Dienstzeit
in Wösendorf her sehr gut, die allgemein als Hexe verrufene Frau
des dortigen Schneiders N. Diese kam einmal zum Bürgermeister des
Ortes, als er eben ein Kalb bekommen hatte. In heuchlerischer Freude sagte
sie: "Jessas, Ihr habts a Kalbl kriagt?" und musterte mit ihrem
Hexenblicke das junge Vieh. Wirklich konnte dann die Kuh das Kalberl nicht
mehr trinken lassen und man mußte es zu einer anderen geben, die
ihm die Nahrung nicht vorenthielt. Die verhexte Kuh wurde sogleich verkauft.
Da der Bürgermeister in der Nacht darauf beim Stalle einen schwarzen
Hund sah, ließ er den Halter von St. Michael holen, der als Hexenbekämpfer
bekannt war. Dieser kam gleich, nahm eine Mistgabel, machte einen Zinken
davon glühend und stieß ihn in ein Brettl hinein, um die Hexe
zu verletzen. Wirklich ist es der Schneiderin daheim ins Knie gegangen;
sie bekam eine schwere Wunde, mußte ins Bett und kam nimmer auf.
Während ihrer langen Krankheit hat sie sich immer versehen lassen.
Die Ursache der Krankheit redete sich herum, da kam der Bruder der Kranken,
der Fleischer von Wösendorf, und fragte sie, ob denn das wirklich
wahr sei, was von ihr geredet werde und warum sie denn der ganzen Familie
solche Schande mache. Die Schneiderin sagte aber nur: "O mein Gott,
o mein Gott" und hob bedauernd die Hände. Bald darauf starb
sie und, als bei ihrem Begräbnisse die Kirchenglocken zu läuten
anfingen, kam ein so arger Sturm, daß die Erzählerin und ihre
Frau, welche gerade im Weingarten waren, gar nicht arbeiten konnten. Alles
wurde umgeworfen und davon getragen. Die beiden Frauen hätte er auch
fast zu Boden geschleudert. Wie das Grabgeläute aufhörte, war
auch der Sturm zu Ende.
Quelle: Sagen der Wachau, Hans Plöckinger, Krems a. D. 1926, Nr. 51, S. 61f