Die Tuchnerklippen bei Gossam.
Am linken Ufer der Donau liegt unter Emmersdorf das Dorf Gossam und hinter ihm, im Schattentale des Felbringbaches, steht auf zehn Meter hohem, freiliegendem Felsblock der altehrwürdige, romanische Quaderbau der zerfallenen Pankratiuskapelle, des früheren Burgkirchleins. Hier lebte einst ein frommer Einsiedler und in der Nähe wohnte Meister Klaus, ein ebenso reicher wie geiziger Tuchner oder Tuchmacher, ein herzloser Wucherer, gegen den die Not der Witwen und Waisen und aller Bedrückten gen Himmel schrie.
Und der Himmel erhörte ihr Flehen, den Tuchner verließ sein
Glück, auf den Märkten machte er nicht nur keine Geschäfte,
sondern wurde, da er seinem Unmute durch Beschimpfung der anderen Händler
Luft machte, vom Richter wegen Störung des Marktfriedens empfindlich
gepönt. Als er wieder einmal mit all seinen Waren unverrichteter
Dinge heimritt, entlud sich über seinem Haupte ein fürchterliches
Gewitter, ein Blitzstrahl streckte das arme Pferd nieder, das für
gewöhnlich so harmlose Wässerlein wurde zum tobenden Wildbache,
der ihm seine Warenballen fortschwemmte. Vergebens rief er den Einsiedler
um Hilfe, das Unwetter übertönte seine Stimme. Da verwünschte
er in seinem Grimme sich und seine Waren, und siehe, sofort wurden die
Warenballen samt dem Tuchner zu Stein und lagen noch Jahrhunderte, vom
Volke die "Tuchnerklippen" genannt, wirr umher. Heute sind sie
verschwunden. Ihre Stelle bezeichnet ein Steinbruch; aber immer noch erzählen
die Großmütter ihren Enkelkindern die nachdenkliche Geschichte
und stimmen die empfänglichen Herzen zu milder Gesinnung gegen alle,
die des Lebens bittere Not hart bedrängt.
Quelle: Wachausagen,
Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef
Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 42 - 43.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa
Lemberg, Jänner 2005.