Die mutige Kellnerin
Unter den Gästen des Waldwirtshauses zu I. war einmal die Frage aufgeworfen worden, wer wohl den Mut hätte, um Mitternacht zum Hochgerichte hinauszugehen und dort, ober den Häuptern von drei Gehängten, in den Galgenbalken ein Kreuz einzuschneiden. Das wegen seiner Unerschrockenheit bekannte Schankmädchen erbot sich, gegen Zahlung einer Wette, dieses Wagnis zu unternehmen. Als die mutige Dirne zum Galgen kam, stand ein Pferd dabei, und ohne Furcht kletterte sie auf das Tier hinauf, schnitt ins Holz die drei Kreuze ein und jagte dann auf dem Pferde heimwärts. Da krachten hinter ihr Schüsse und Kugeln Pfiffen an ihr vorbei, ohne sie jedoch zu treffen. Sie rührten von verfolgenden Räubern her, denen das Pferd gehörte, und die einen Kameraden vom Hochgerichte abnehmen wollten. In den Satteltaschen des Pferdes fand man Waffen und Geld; es war der Beuteanteil des Räuberhauptmannes, der nun um diesen betrogen, auf Rache sann.
Der Galgenberg von Irnfritz
© Harald Hartmann, Mai 2009
Nach einiger Zeit kamen eines Abends, als sich schon alle Gäste entfernt hatten, und nur mehr die Kellnerin und der Hausknecht wach waren, ins Wirtshaus einige starke und verdächtig, aussehende Männer, die den Hausknecht mit einem Briefe in den nächsten Ort, die Magd aber in den Keller um Wein sandten. Als sie damit über die Stiege heraufkam, hörte sie einen der Räuber sagen: „Wenn sie mit dem Weine hereinkommt, wollen wir ihr bei lebendigem Leibe die Haut abziehen." - Durch diese Worte erschreckt, eilte sie wieder in den Keller hinab, stellte das Licht an dessen äußerstem Ende auf ein Faß und verbarg sich hinter der Eingangstüre, indem sie in ihrer Angst eine Wallfahrt gelobte, wenn sie diesmal mit dem Leben davonkäme. Indessen waren die Räuber, des Wartens überdrüssig, in den Keller hinabgestiegen, um nachzusehen, wo sie bleibe - da sprang sie hervor, schlug die Kellertüre zu und schloß die Räuber ein. Dann eilte sie in die Stube, in der die grausamen Räuber „Kinderhändchen" (wie sie diese Kindern abgehackt) anstatt der Lichter angezündet hatten, löschte diese unheimlichen Kerzen aus, weckte die Hausleute und Nachbarn, mit deren Hilfe die Räuber gefangen und peinlich befragt, zur Angabe ihrer Höhle im Walde gezwungen wurden, in der man viel Geld und kostbare Waren fand, die man alle der mutigen Kellnerin überließ: diese aber verteilte sie unter die Armen und dankte Gott, daß sie auf so glückliche Weise errettet worden war. (Otto Braun.)
Der Galgen von Irnfritz
© Harald Hartmann, Mai 2009
Gemeint ist wohl das Dorf Irnfritz (dessen Name, wie man annehmen kann, aus älterem Irenfrieds -dorf usw. abzuleiten ist), und als Hochgericht der Galgen bei Messern, von dem noch heute die gemauerten runden Steinsäulen stehen. In älteren Zeiten (vor 1800) dürfte wohl auch noch das die Säulen oben verbindende Querholz vorhanden gewesen sein. Die Sage gehört zu jenen Räuber- und Gespenstersagen, in denen abgehackte Finger öfters eine unheimliche Rolle zugeteilt bekommen.
Quelle: Franz Kießling, Frau Saga im Niederösterreichischen Waldviertel, S. 30, Horn,1924