DER WANDERNDE HERRGOTT
In der Oberravelsbacher Kapelle befindet sich ein wertvolles Kreuz, dem allerhand wundersame Kräfte zugeschrieben werden. So pilgerten einst viele Leute zu der kleinen Kapelle in der Hoffnung, Trost zu finden. Sie kamen teils von weit her, dem Herrgott ihre Sorgen und Nöte zu klagen.
Als die Ravelsbacher, die eine wunderschöne, große, prächtige Barockkirche besitzen, dies sahen, fürchteten sie, dass die kleine Kapelle mehr Gläubige besuchen würden, als ihre große Kirche. Denn die große Kirche - so waren sie sich einig - würde wohl einen prächtigeren Rahmen für die Wallfahrer abgeben.
Eines Nachts machten sich einige Ravelsbacher auf und gingen nach Oberravelsbach. Dort ergriffen sie entschlossen das wertvolle Kreuz und trugen es in ihre Kirche. Durch diesen Kreuzdiebstahl hofften sie, die Wallfahrer in ihre Kirche locken zu können. Denn wo das Kreuz war, dorthin kamen auch die Wallfahrer.
Wütend über den Raub des Herrgotts beschwerten sich die Gläubigen
beim Pfarrer. Der Gottesmann verfügte ohne lange nachzudenken, dass
das Kreuz wieder nach Oberravelsbach zurückgebracht werden müsse.
In einer feierlichen Prozession, in der das Kreuz vom Pfarrer vorangerragen
wurde, brachten nun die Ravelsbacher den Oberravelsbachern das Kreuz wieder
zurück. Seither wird alljährlich ein Bittgang von den Ravelsbachern
zum "wandernden Herrgott" nach Oberravelsbach gemacht.
Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 33