DER LISTIGE LEIBEIGENE
Ein Sonnberger Leibeigener hatte sich am Hollabrunner Markt eine Holzschaufel gekauft und ging nun heimwärts. Da begegneten ihm zwei Lakaien der Herrschaft und fragten ihn, ob in Hollabrunn viele Leute auf dem Markt wären. "Nicht viele und auch nicht wenige", gab er zur Antwort. Auch die Frage nach dem Preis der Schaufel wusste er sofort zu beantworten: "Die Schaufel war nicht teuer, aber auch nicht billig." Die beiden fühlten sich gefoppt und wollten ihm die Spaßmacherei austreiben. Kurzerhand luden sie den frechen Bauern zu einem herrschaftlichen Mahl ein. Der kluge Bauer nahm die Einladung an und war sicher, dass er am Ende wohl der klügere bleiben würde.
Zum vereinbarten Tag ging der Bauer zum Festmahl. Er trug dabei seinen schönsten Mantel, den Sonntagsmantel. Als er so über die Wiesen und Felder schritt, bemerkte er in einer Erdgrube einen schlafenden Hasen. Kurzentschlossen warf er ihm seinen schönen Mantel über und trug das Tier derart verborgen in den Gutshof. Dort hatten sich schon alle versammelt und harrten darauf, dass der kecke Bauer nun gedemütigt werden würde. Als sie ihn ankommen sahen, riefen sie: "Seht er kommt, lasst schnell die Bluthunde heraus!" Als die hungrige Meute auf den Bauern zurannte, ließ dieser den gefangenen Hasen aus, doch die Hunde zogen es vor, dem armen Tier nachzustellen. Dies verdross die Gesellschaft sehr und sie sann auf Rache, um nicht länger an der Nase herumgeführt zu werden.
Alter Weinkeller mit Holzfässern im Weinviertel, NÖ
© Berit Mrugalska, 13. Juli 2006
So beschlossen sie, den Bauern zu einer Weinkost einzuladen, bei der ihn der Kellermeister dann verprügeln sollte. Wie ausgemacht erschien der Bauer im Weinkeller und sogleich begannen sie, die Weine der Reihe nach durchzukosten. Als sie beim letzten Fass angelangt waren und der Kellermeister überlegte, wie er den Bauern verprügeln könnte, gerieten die beiden wegen einer Kleinigkeit in Streit. Keiner wollte nachgeben. Da zog der Bauer die Pipe aus dem letzten Fass und der kostbare Wein rann aus. Als sich der Kellermeister bückte, um das Fass wieder zu verschließen, bemerkte der Bauer die Pferdepeitsche in dessen Gürtel. Kurz entschlossen griff er nach der Peitsche, nahm sie ihm weg und verdrosch damit den Kellermeister derart, dass dieser lauthals brüllte. Oben an der Kellertüre standen indes die neugierigen Lakaien und freuten sich, denn sie waren der festen Überzeugung, dass nun der freche Bauer ausgepeitscht werde. Ungeduldig warteten sie auf den Bauern. Als dieser aus dem Keller kam, und fragten sie voll Schadenfreude: "Na, hast es jetzt?" ,"Ja", entgegnete dieser, "Ich hab's jetzt!". Spöttisch erkundigten sie sich: "Tut's dir's sieden oder braten?", und meinten damit die Wunden, die sie an seinem Körper vermuteten. Er aber erwiderte keck wie eh und je: "Braten tu ich mir's!"
Als sie nun in den Keller hinabgingen, merkten sie, wie die Lage wirklich
war: Der Wein floss ihnen entgegen, der Kellermeister wand sich voll Schmerzen
am Boden und die Rehschlögel, die sie im Keller für spätere
Festtage gelagert hatten, waren auch nicht mehr hier. Jetzt erst verstanden
sie, dass sie auch diesmal von dem Bauern gefoppt worden waren und mussten
nun beschämt einsehen, dass er wohl der klügere war. Der unerschrockene
Sonnberger Bauer hatte von nun an seine Ruhe und wurde nie wieder von
den Herrschaftslakaien belästigt.
Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 104