DIE MARIENEICHE

In den Zwerndorfer Marchauen stehen gar manche dicke und uralte Baumriesen. Eine besonders große Eiche wird Marieneiche genannt, weil dort in der Notzeit der Kuruzzeneinfälle die Hl. Maria erschienen ist.

Damals war das Essen rar und der Hunger groß war. Mensch und Vieh litten unter der Dürre und unter den feindlichen Kriegern, die das Land ausraubten. In diesen schweren Zeiten hatten alle zu leiden, die Ärmsten der Armen traf es aber am härtesten. Keiner hatte für Bettler und umherziehende Invalide etwas übrig. Sie wurden alle abgewiesen und bekamen höchstens ein paar höhnische Worte zu hören: "In diesen mageren Jahren kommt das Almosengeben auch ganz aus der Mode!" Betrübt zog ein Invalide, der diese Worte zu hören bekam, mit seinem Holzbein wieder von dannen.

Er begab sich in die Marchauen und ließ sich im Schatten einer mächtigen Eiche nieder, um sich ein wenig auszuruhen. Zu Tode erschöpft schlief er ein. Im Traum erschien ihm der Tod in Begleitung zweier klapperbeiniger Gestalten. Eine trug einen Spaten, die andere eine Axt. Bei der Eiche angekommen, schickten sie sich an, den Baumriesen zu fällen. Erschrocken über ihr Beginnen fragte er sie: "Gönnt ihr mir nicht einmal einen Schatten, unter dem ich hier sterben kann?" "Doch, aber wir wollen dir einen Sarg zimmern", entgegneten sie ihm, "steh auf und mach uns Platz!" Dem Invaliden kam das äußerst seltsam vor: im Leben hatte er kaum was zu etwas beißen und im Tode zimmerten man ihm sogar einen Sarg.

Kaum begannen die beiden Todesknechte mit dem Fällen des Baumes, so vermeinte der Invalide einen Blitzschlag wahrzunehmen. Eine helle Frauengestalt erschien und fügte den Ast eines blühenden Pfirsichbaumes in jene Stelle, die vorher von der Axt gespalten worden war.

Als der Mann nun erwachte, traute er seinen Augen nicht: Da hingen die allerschönsten saftigsten Pfirsiche vor seinen Augen. Ohne lange zu zögern griff er zu, stillte seinen Hunger und wurde auf diese Weise von der Hl. Maria gerettet.

Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 257