DER SCHWERE WAGEN
Der Ort Stockerau ist seit alters her von vielen Fuhrwerken befahren worden. Tagein, tagaus fuhren schwer beladene Wagen durch die Straßen, die stellenweise von den eisenbeschlagenen Rädern schon ganz holprig waren.
Die alten Leute wissen hier von einem ganz besonderen Wagen zu berichten, der zu mitternächtlicher Stunde durch die Straßen rollt. Gar fürchterlich soll der Lärm sein und schon so manchen Schläfer aufgeweckt haben. Zu dieser Stunde beginnen selbst die Wände zu zittern, das Geschirr klirrt in den Kästen und das Vieh ist auch schon öfters unruhig geworden. Das sind alles sichere Zeichen, dass der Schwere Wagen durch die Straßen poltert. Viele Neugierige wollen den Wagen sehen, besonders Kinder - wenn sie aufwachen - sind kaum zu halten.
Doch wehe, wer den Schweren Wagen sieht und sich zu weit aus dem Fenster beugt, dem mag es schlecht ergehen. Denn der Schwere Wagen wird vom Teufel höchst persönlich gelenkt - er hat schon in manchem Gesicht, das zu neugierig nach ihm Ausschau hielt, die tief roten Abdrücke seiner Finger hinterlassen. Leuten, die besonders neugierig waren, soll er sogar schon den Kopf verdreht haben, so dass sie das Gesicht auf der Seite des Rückens tragen.
Es ist daher ratsam, sich lieber unter der Decke zu verkriechen und zu
warten, bis der mitternächtliche Spuk vorbei ist.
Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 73