WIE DIE WEINSTÖCKE INS WEINVIERTEL KAMEN

Es begab sich einst in einem Weinviertler Dorf, dessen Namen heute niemand mehr kennt. Dort tauchte ein fahrender Händler auf, der auf seinem Wagen seltsame Pflanzen hatte, die er "Weinstöcke" nannte. Keiner im Ort hatte derartige Pflanzen je gesehen und keiner wusste damit etwas anzufangen. Doch die Bewohner waren freundlich zu ihm und dem Händler gefiel es derart gut in der Gegend, dass er sich niederließ und von hier aus seine Verkaufstouren unternahm.

In seinem Innenhof pflanzte er einige der Weinstöcke. Bald begannen sie zu treiben und zeigten auch winzige Blüten. Später reiften daraus Trauben, die im Spätsommer süß und glänzend wurden. Neugierig kosteten die Bauern davon und waren ganz erstaunt, wie gut die süßen Früchte schmeckten. Der eifrige Händler hatte aber so viele Trauben, dass er daraus Saft - den Most - machte. Nach heftigem Sprudeln und Wirbeln des Mostes, wobei er zunächst ganz trüb, dann staubig und erst zu Martini rein wurde, entstand ein gar köstliches Getränk, der Wein. Und der schmeckte den Bauern auch ganz besonders. Gerne kehrten sie beim Händler ein, um wenigstens ein wenig von dem Wein zu trinken. Bald bemerkten sie aber, dass zuviel Wein ganz dumm im Kopf machte, dass man nicht nur das Gleichgewicht, sondern sogar das Gedächtnis verlieren konnte.

Weinlaube im Weinviertel
Der Eingang eines Weinkellers wurde mittels eines Spaliers zu einer romantischen Weinlaube, Weinviertel
© Berit Mrugalska, 13. Juli 2006

Als nun ein schrecklicher Riese in das Land kam und von Haus zu Haus zog, wo er alles begehrte, dessen er habhaft werden konnte, gaben ihm die Bauern zunächst ihre Vorräte und dann schweren Herzens auch ihre Haustiere zu essen. Als er jedoch zu dem Haus des Händlers kam, gab ihm der kluge Mann gleich ein ganzes Fass Wein. Gierig trank der Riese es mit einem Zug aus. Doch ehe er abgesetzt hatte, spürte er auch schon die Wirkung des Weines zu Kopf steigen, er begann zu torkeln und fiel hin. Rasch eilten die anderen Bewohner herbei, fesselten ihn und trugen ihn mit vereinten Kräften fort.

Jetzt wollten alle Bauern von den Weinstöcken haben und selber Wein machen, für den Fall, dass wieder ein Riese käme. Der kluge Händler gab aber jedem Bauern andere Weinstöcke, und auf diese Weise entstanden die großen Weingartenflächen mit den verschiedensten Sorten im Weinviertel.

Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 11