DIE WEISSE FRAU MIT DEN DREI KERZEN

Beim ersten Auftreten der Cholera, die viele Leute dahinraffte, soll sich in Korneuburg folgendes zugetragen haben: In einem nahen Dorf lebte einst ein Bauer, der einen stummen Sohn hatte. Dieser hütete oft die Schafe des Vaters auf einer Wiese.

Eines Tages erschien dem Buben dort ein fein gekleideter Herr und bat, ihm ein Schaf zu schenken. Da konnte der Junge plötzlich sprechen und sagte dem Fremden, dass er zunächst seinen Vater fragen müsse, ehe er ihm das Schafe schenken könne.

Der Vater war über die Heilung seines Sohnes derart erfreut, dass er dem Fremden sogleich die ganze Schafherde geben wollte. Dieser lehnte aber dankend ab. Er nahm nur ein Schaf, tötete es, vergrub es anschließend in der Erde und steckte drei Kerzen auf das Grab. Dem Knaben teilte er mit, dass die Kerzen so lange brennen würden, bis das Schaf verwest sei.

Als die Kerzen abgebrannt waren, entstieg eine weiße Frau dem Grab. Auf ihrer Brust trug sie drei Kerzen. Fromme Leute, die an dieser Stelle vorbeikamen, zündeten eine der drei Kerzen an. Die weiße Frau bedankte sich und erklärte den Leuten, dass es ein Glück wäre, dass sie nur eine Kerze angezündet hätten. Würden alle drei Kerzen brennen, müssten alle Leute an der Cholera sterben. Da aber nur eine Kerze brannte, bedeutete dies nur für ein Drittel der Bevölkerung den Tod.

Quelle: Das Weinviertel in seinen Sagen, Thomas Hofmann, Weitra 2000, S. 128