DER GOIDINGER MICHERL

Der Goidinger Micherl war einst im „Weingarten", wie die Gegend um die Kapuzinerkirche in Linz damals genannt wurde, eine bekannte Gestalt. Er starb, bevor er noch dem Seiden-zeug-Fabrikanten Franz Xaver Hofer in der Kapuzinerstraße eine größere Schuld begleichen konnte. Die Eheleute Hofer hörten nun nach Goidingers Tode mehrere Tage hintereinander, wie zu mitternächtlicher Stunde die Haustür aufgesperrt und wieder sorgsam geschlossen wurde. Dann stapften schwere Tritte die Holzstiege hinauf in den ersten Stock und hinein in die neben dem Schlafgemach gelegene Schreibstube Hofers.

Dort vernahm man, wie das Schuldbuch aufgeschlagen, durchblättert und wieder zugeklappt wurde. Dann stapften die Schritte die Stiege wieder hinunter, das Haustor wurde aufgesperrt, geöffnet, geschlossen und wieder sorgsam zugesperrt. Als sich dies nun zum dritten Male wiederholte, rief Hofer vom Bett aus ins Nebenzimmer hinüber: „Goidinger Micherl, wenn du es bist, so kannst du ruhig schlafen; bist mir nichts mehr schuldig!" Daraufhin gab es einen starken Knall, und von diesem Augenblick an blieb es ruhig im nächtlichen Hoferhaus.


Quelle: Commenda Hans, Eigene Sammlung. Handschrift.

aus: Hans Commenda, Sagen in und um Linz, in: Oberösterreichische Heimatblätter, Jahrgang 21, 1967, Heft 3/4, S. 27 - 74.