DIE ZWERGE IM LINZER SCHLOSSE

Im kaiserlichen Schlosse zu Linz hausten Zwerge. Das konnten viele Leute, die sie selber gesehen hatten, bezeugen. Einmal war ihr Erscheinen besonders denkwürdig.

Als die Stadt Wien zum letzten Male durch die Türken bedroht ward, floh die kaiserliche Familie nach Linz. Die Kaiserin traf zuerst im Schlosse ein. Todmüde durch die weite, hastige Reise, begab sie sich bald zur Ruhe. Nach kurzer Weile wachte sie indes wieder auf und erblickte beim Schein des Nachtlichtes ein artiges Zwerglein. Es tanzte um das Bett, trieb allerlei Possen und begehrte schließlich die Hand der Kaiserin zu küssen.

Diese war sich bewußt, daß ein Leibtrabant vor der Tür ihres Schlafgemaches Wache stand und das seltsame Geschöpf nur ohne dessen Wissen in das Zimmer gekommen sein konnte. Sie griff daher nach dem Glockenzug, um ihre Dienerschaft herbeizurufen. Allein das Männlein klatschte mehrmals freudig in die Hände, verneigte sich noch einmal tief und verschwand im anschließenden Gelaß. Dort gab vielfaches Händeklatschen die Anwesenheit und Freude weiterer Zwerge kund.

Als am nächsten Tag der Kaiser in Linz eintraf, stellte sich heraus, daß er gerade zur Stunde, da die Zwerge ihre Freude kundgaben, auf seiner gefährlichen Flucht einer Tatarenstreife glücklich entronnen war.


Quelle: Peuckert W. E., Die Sagen der Monathlichen Unterredungen Otto von Grabens zum Stein. Leipzig, 1731, Bd. II, S. 408 ff. Berlin, 1961, Nr. 186.

aus: Hans Commenda, Sagen in und um Linz, in: Oberösterreichische Heimatblätter, Jahrgang 21, 1967, Heft 3/4, S. 27 - 74.