Der ewige Schuster
Als unser Herr Jesus dereinst auf seinen wunden Schultern das schwere Kreuzesholz durch die engen Gassen von Jerusalem schleppen mußte, da trug es sich zu, daß er vor einem alten Haus eine Steinbank sah. Zu Tode erschöpft, wollte er eine kurze Rast darauf halten; und sogar die rohen Soldaten und die nachströmende Volksmenge hätten ihm dies gegönnt. Aber der Besitzer des Hauses, ein grauhaariger, hinkender Schuster, der vor die Tür getreten war, um die drei Verurteilten zu sehen, erlaubte es nicht, daß unser Herr und Heiland sich auf der Bank niederließ. Zornerfüllt stieß er mit den geballten Fäusten nach ihm, schrie und schimpfte und zwang ihn, sofort die Stelle vor seinem Haus zu verlassen.
Traurig blickte Jesus den Unbarmherzigen an und wankte unter seiner niederdrückenden Last weiter.
Als wenige Jahre später das Lebensende des alten Schusters herannahte, da zeigte es sich, daß er nicht sterben konnte und durfte. Denn wie er unsern Herrn mit harten Worten genötigt hatte, weiterzuziehen, so muß auch er gehen - gehen bis zum Jüngsten Tag, immer um die ganze Welt herum! Siebenmal fand er sich in all den Jahrhunderten schon in Mitterndorf ein! Da klopft er beim Pfarrhof an und bittet, übernachten zu dürfen. Wenn man ihm das erlaubt, so wartet er geduldig, bis alles im Hause schläft. Dann schiebt er den Tisch in die Mitte des Zimmers und umwandert ihn die ganze Nacht. Denn auch da findet er nicht Rast noch Ruhe! So geht der ewige Schuster heute noch um die Erde. Und er wird wohl immer wieder im Pfarrhof von Mitterndorf zusprechen. Würde er aber einmal sagen, daß er nun zum letzten Mal gekommen sei, dann wäre das Weltenende bestimmt ganz nahe!
Quelle: Sagenschatz aus dem Salzkammergut, Iolanthe Hasslwander, Steyr 1981