Das Erlebnis des Duckbauern Franzl
Im Inneren des Grimmingberges finden sich viele wundersame Höhlen
vor, in denen die Bergmännlein hausen. Da gibt es weite Hallen, funkelnd
von Kristall und edlem Gestein; da laufen kreuz und quer lange, marmorverkleidete
Gänge, die zu den überreich ausgestatteten Schatzkammern führen;
da gelangt man in prächtige Säle mit weißgedeckten Tafeln
und herrlichen Gold- und Silbergeräten.
Hier halten die Männlein ihre Mahlzeiten, bei denen sie schmausen,
was gut und teuer ist. Dabei gehen Pokale mit köstlichem Wein von
Hand zu Hand. Ja, unvorstellbar schön ist es im Zwergenreich! Du
verstehst also wohl, daß die Bergmännlein ihre kleine Märchenwelt
ängstlich vor Besuchern hüten; und nur ganz, ganz selten darf
ein Mensch sie betreten!
Von einem aber will ich dir jetzt erzählen, der unfreiwillig mit
den Höhlenschätzen Bekanntschaft machte.
Viele Jahre ist es her, da stieg einmal der Duckbauern Franzl aus Mitterndorf
auf den Grimming, um seiner Braut ein Sträußlein bunter Alpenblumen
und vielleicht gar ein paar Edelweißsterne zu pflücken. Immer
höher und höher führte ihn seine Suche in die Felsen, bis
er bei einer engen Spalte anlangte. Als er sich vorneigte, um auf den
Grund des Schachtes zu blicken, sah er es dort golden glänzen. Franzl
schaute und schaute, um ja gewiß zu sein, daß er sich nicht
irre. Aber es war keine Täuschung: in der Tiefe lag wirklich purer
Goldsand!
Sofort begab sich der Bursche auf den Rückweg und brachte da und
dort mit Steinen und Latschenzweigen deutliche Zeichen an, um wieder zu
dem Goldschacht zu finden.
In Mitterndorf angelangt, vertraute sich Franzl seinen beiden besten Freunden
an, die auf seine Schilderung hin gleich mit Begeisterung dabei waren,
ihn mit Laternen, Ledertaschen und Seilen zu begleiten.
In ihrer großen Vorfreude bewältigten die drei Schatzsucher
den Aufstieg rasch und schauten nun gemeinsam voll Begierde nieder in
den goldgefüllten Schacht. Dann aber gingen sie ohne langes Zögern
ans Werk.
Sie knüpften etliche Seile zusammen und ließen den Duckbauern
Franzl samt einer Laterne und den Lederranzen in die Tiefe. Er füllte
unten im Kerzenschein nach ihrem Geheiß die drei Taschen mit Goldsand
prall an, befestigte eine nach der anderen am Seile und ließ sie
von den Freunden emporziehen. Zuletzt, so war es verabredet worden, sollte
auch er aus dem Schacht gezogen werden.
Aber, o Gott - - was mußte der arme Franzl Schreckliches erleben?
Die zwei habgierigen Gesellen warfen mit Spottreden und rohem Gelächter
das leere Seil in die schmale Felsspalte zurück, packten die kostbaren
Lederranzen, liefen wie gehetzt davon und ließen den Burschen in
dem engen Schacht, aus dem er sich unmöglich befreien konnte. Die
"Freunde" hatten den Unglücklichen bewußt dem Hungertode
ausgeliefert, um die reichen Schätze unter sich allein teilen zu
können.
Von Schmerz und bitterer Enttäuschung überwältigt, sank
Franzl auf die Knie und starrte trostlos in das immer schwächer scheinende
Laternenlicht. Über dem Grimming stand bereits die Nacht. Vergebens
suchte der Bursche nach einem rettenden Gedanken - nach irgendeinem Ausweg!
Ohne die kleinste Hoffnung sah er die Kerze langsam erlöschen. Und
als er um Mitternacht von grausiger Finsternis umgeben war, da erfaßte
Verzweiflung sein Herz!
In diesem Augenblick öffnete sich in der Felsenwand eine schmale
Pforte und in ihrem Eingang stand ein Zwerg, auf dessen Haupt ein wunderbarer,
großer Karfunkelstein hell erstrahlte. Das Männlein blickte
lange in mitleidigem Schweigen auf den armen Franzl. Dann löste es
den Edelstein von seiner Mütze, händigte ihn dem Burschen aus
und sprach:
"Da - nimm meinen Karfunkelstein und halte ihn, wenn das Morgenrot
leuchtet, an den Fels; der wird sich auftun und du vermagst dann leicht
den Weg ins Tal zu finden. Den Edelstein verkaufe später in der Hauptstadt
- und du wirst reich genug für dein ganzes Leben sein! Verschwende
aber das Geld nicht nutzlos, sondern tu damit auch den Armen, Alten und
Kranken etwas zulieb! Und nun merk dir auch noch mein Abschiedswort: Suche
nie mehr am Grimming nach Schätzen! Sonst stürze ich dich genauso
über die Felsen, wie ich es mit deinen zwei falschen Freunden getan
habe!"
Mit dieser Warnung trat der Zwerg zurück in seinen Gang; die Pforte
schloß sich - und der Franzl war allein!
Durch die Hilfe des Karfunkelsteines gelangte er am Morgen aus dem engen
Schacht und hinab ins Tal, wo ihn Mutter und Braut mit Freudentränen
empfingen.
Fortan hielt er getreulich an dem Gebot des Bergmännleins fest und
blieb samt seiner Familie bei allem Reichtum wohltätig sein Leben
lang. Ab und zu erzählte der Duckbauern Franzl aber auch noch im
hohen Alter von seinem Erlebnis im Grimmingschacht.