Maria im Schatten
Am Hochaltar des romantischen Kirchleins zu Lauffen steht eine steingegossene
Marienstatue, von der behauptet wird, sie sei schon rund neunhundert Jahre
alt. Ein Bischof von Salzburg soll sie mitgebracht oder ihre Anfertigung
veranlaßt haben; Näheres weiß man natürlich heutzutage
nicht mehr.
Aber diese Statue geriet später - wohl in Kriegszeiten - in Verlust
und es dachte bald auch keiner mehr an sie.
Lange, lange nachher fand jedoch einmal ein Holzarbeiter beim Baumfällen
auf dem Frauenberg das steinerne Marienbildnis und berichtete voll Freude
davon dem Pfarrer von Goisern. Der wußte in der Nähe eine hübsche,
geräumige Kapelle; dorthin trug er in würdiger Prozession unter
Begleitung von vielem Volk die Statue und stellte sie auf den schöngeschmückten
Altar.
Wie waren aber alle in die Seele hinein erstaunt, als am anderen Tag die
Kapelle leer dastand und die Madonna mit dem Kindlein am Arm auf wunderbare
Weise zum Frauenberg zurückgekehrt war! Und dasselbe wiederholte
sich noch zwei weitere Male!
Dieses Mirakel war offensichtlich ein himmlisches Zeichen - und so wurde
am Waldrand zu Füßen des Frauenberges um 1200 die Lauffener
Kirche erbaut. Das Gotteshaus, das durch den Schatten der hochaufragenden
nahen Waldungen bis in unsere Tage wenig Sonnenschein kannte, erhielt
vom Volk den Namen "Maria im Schatten".
Bald war die Kirche ein beliebtes Ziel von Traunschiffern und Salzknappen,
Pilgern und kranken Leuten; und da gar mancher Beter dort seine Gesundheit
wieder erlangte, wurde sie zum angesehenen Wallfahrtsort.
Besonders hilfreich erwies sich das Gnadenbild "Maria im Schatten"
in jenen Tagen, als die Pest, diese todbringende Krankheit aus dem Osten,
in unserem Vaterland wütete. Damals blieb auch das Salzkammergut
von der schrecklichen Seuche nicht verschont; und es wird erzählt,
daß der Ischler Friedhof die große Anzahl der Verstorbenen
nicht mehr fassen konnte.
Die wenigen Gesunden - es sollen nur noch neun gewesen sein - beschlossen
in ihrer Angst und Ratlosigkeit eine Wallfahrt nach Lauffen. Als sie nach
stürmischen Bitten und Flehen die Kirche verließen, saß
auf dem Dach ein buntscheckiger Vogel in der Größe einer Amsel.
Der rief mit menschenähnlicher Stimme unablässig:
"Trink Enzian, iß Pimpernell:
du bleibst gesund und stirbst nicht schnell!"
Da war es den beglückten Wallfahrern, als habe die Lauffener Himmelmutter
persönlich ihnen den märchenhaften Vogel gesandt, um durch ihn
ein Mittel gegen die unheilvolle Pest zu verkünden. Sie besuchten
nach diesem Ratschlag also ihre Kranken in Ischl mit Enziangeist und Pimpernellbeeren
und gaben ihnen davon. Und allen wurde wieder Leben und Genesung geschenkt!
So half das Gnadenbild von Lauffen, daß nicht ganz Ischl ausgestorben
ist!
Die Wallfahrtskirche "Maria im Schatten" wird aber auch in unserer
Zeit noch hochgeehrt und viel besucht.
Nur hat sich der dunkle, kühle Waldschatten seit Anlage der schönen,
breiten Umfahrungsstraße merklich zurückgezogen - und die liebe
Marienstatue bekommt nun endlich Tag für Tag goldenen Sonnenschein
zu sehen!
Maria im Schatten, wie schaust du so mild
auf alle, die sorgebeladen
hier knien vor deinem hochheiligen Bild!
O schenke uns Liebe und Gnaden!
Und bitte für uns auch dein göttliches Kind,
das freundlich dir ruhet im Arme,
damit es uns bleibe holdselig gesinnt -
und daß es sich unser erbarme!
Quelle: Sagenschatz aus dem Salzkammergut, Iolanthe Hasslwander, Steyr 1981