Der Berggeist
Von den Sennhütten auf dem Naßfelde links ansteigend, gelangt
man über die Gestängleiten auf eine Gletscherwand, welche die
Hohe Schneestelle genannt wird. Unter derselben liegt ein reiches Goldlager
verborgen, das jedoch nur in äußerst heißen Sommern zutage
tritt. Der Binder Seppel, der nun das Goldlager wußte und ein waghalsiger
Bursche war, bemühte sich einst, den Eingang in dasselbe vom Eise
zu befreien. Eben hatte er die Hand zu einem gewaltigen Schlage erhoben,
als er urplötzlich, von unsichtbarer Seite geführt, einen schweren
Hieb auf die Hand erhielt, so daß er sein Werkzeug ins Eiswasser
fallen ließ. Aus der dunklen Kluft des Eises aber erscholl eine
Stimme, die also rief: "Du hast alles, was du brauchst. Zu Reichtum
bist du nicht geboren, darum kehre um! Diesmal habe ich dir die Haue aus
der Hand geschlagen; kommst
du noch einmal, geht's dir ans Leben!"
Bis zum Tode erschrocken sprang der Binder-Seppel heraus und lief, so
schnell ihn seine Füße trugen, der Heimat zu. Lange Zeit wagte
er sich nicht mehr zu jener Stelle hin. Allein, endlich wurde die Sucht
nach Gold in ihm immer größer und unbezähmbarer; eines
Tages, es mochten vielleicht zwei Jahre seit seinem ersten Abenteuer verflossen
sein, machte er sich wieder auf und erklomm noch einmal die Hohe Schneestelle.
Hätte er es lieber nicht getan, es wäre besser für ihn
gewesen, denn was ihm jene Stimme damals angedroht, ging nunmehr in Erfüllung;
er kehrte nicht wieder in sein Heim zurück; wohl aber fand man nach
Monaten seinen gräßlich verstümmelten Leichnam tief unten
in einer Schlucht.
Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd.
2, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 382 f, zit. nach Leander Petzold, Sagen
aus Salzburg, München 1993, S. 217.