Die Perchtl entführt ein Kind
Es war einmal ein ungehorsames Kind, das gar nicht folgen wollte und der Mutter viel Kummer bereitete. Da rief diese den Knecht und sagte zu ihm: "Zieh dich geschwind als Perchtl an und komm ans Fenster; dort werd' ich dir das Kind geben, vielleicht wird es dann folgsamer!" Der Knecht tat, wie ihm geheißen, und ging. Bald danach klopfte es am Fenster. Es war die Perchtl, die draußen stand. Die Mutter glaubte, es sei der Knecht, öffnete das Fenster und schupfte das Kind hinaus, der Perchtl in die Arme. Einige Zeit darauf erschien der Knecht. "Ich habe dir das Kind schon hinausgegeben", sagte die Mutter. "Ich bin noch nie da gewesen beim Fenster, ich hab mich erst ang'legt", entgegnete der Knecht. Da eilte die erschrockene Mutter hinaus vors Haus, um nach dem Kinde zu suchen. Als sie draußen, vor Schreck ihrer selbst nicht mehr mächtig, umherlief und nach dem Kinde suchte, kam ihr dessen Gewand durch die Lüfte zugeflogen. Das Kind aber war und blieb verschwunden.
Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volksleben. Schilderungen und Volksbräuche, Geschichten und Sagen aus dem Lungau, Tamsweg 1913; neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 220.