DIE SAGE VOM TANNHAUSER
In der schönen Wallfahrtskirche zu Mariapfarr befindet sich ein Grabstein aus dunkelrotem Marmor, welcher besagt, daß hier ein Conrad Tannhauser, der im Jahre 1483 gestorben ist, begraben liegt. Sein Wappen ist im Inneren der Kirche am dritten Pfeiler des nördlichen Seitenschiffes angebracht; es stellt einen Helm mit geschlossenem Visier, einen Schild und den Fuß eines großen Raubvogels mit ausgestreckten Krallen dar.
Die Sage erzählt davon folgendes:
Ein Ritter von Tannhausen entbrannte einst in heißer Liebe zu des Gaugrafen holdem Töchterlein, der schönen Ehrentrudis, und fand Gegenliebe. Umsonst aber war sein Werben bei dem gestrengen Grafen, denn dieser wollte von einer Verbindung der beiden nichts wissen! Weder die Bitten des Ritters noch die Tränen des holden Mägdleins vermochten das harte Herz des Grafen zu rühren.
Aber Ritter von Tannhausen war nicht nur ein tapferer Kämpe, sondern auch beharrlich in seiner Liebe. Als er in seinem Werben um die holde Maid nicht nachließ, sagte daher der Graf eines Tages zu ihm: Nun gut, du sollst Ehrentrudis haben, aber zum Beweise, daß du ein tapferer Ritter bist, dem es an Mut nicht gebricht, verlange ich von dir, daß du zur mitternächtigen Stunde den Turm zu Babel auf deinem Schlachtroß durchreitest." Der Ritter erschrak ob dieses Verlangens, wußte er doch, daß dies ein Ritt auf Leben und Tod sei. Gar viel hatte er schon von Rittern, die aus fernen Landen kamen, von den Schrecknissen dieses Turms erzählen hören. Doch als tapferer Ritter, der vor keiner Gefahr zurückschreckt, versprach er dem Grafen, sein Begehren zu erfüllen. Tat er es doch Ehrentrudis zuliebe, für die er gern sein Leben in die Schanze schlug. Und hatte nicht auch der heilige Georg, das Vorbild der Ritterschaft, voreinst mutig den Kampf mit dem Höllendrachen aufgenommen ?
Der Babylonische Turm maß zwölf Stunden im Umkreis und drei Stunden im Durchmesser; er war von greulichen Bestien, verbannten Seelen in Gestalt von Krokodilen, Lindwürmern, Molchen, Drachen, riesigen Schlangen, Geiern, Adlern und dem schrecklichen Vogel Greif bewohnt. Im tiefsten Innern hauste der Meister aller Quälgeister, der leibhaftige Groß-Luzifer in schrecklicher Gestalt, seinem Willen beugten sich alle Bewohner des Höllenpfuhles; sie waren ängstlich seines Winkes gewärtig, mit dem Geheule der wilden Jagd durch den Turm rasen zu müssen. Nur in der Stunde vor Mitternacht ruhten sie von der dreiundzwanzig-stündigen fürchterlichen Jagd aus, um mit dem zwölften Glockenschlage wieder von vorne zu beginnen. Wenn es daher jemand wagte, in diesen Höllenpfuhl hinabzusteigen, so mußte er dies, wollte er nicht unrettbar verloren sein, in der einzigen Ruhestunde tun.
Mutig ging Ritter Tannhauser an das Werk. Er begab sich an den Turm, um den Ritt zur vormitternächtigen Stunde zu beginnen. Doch als er dem unheimlichen Turm nahe war und die Öffnung sah, aus der ihm greuliche Finsternis entgegengähnte und der Tod in tausend Gestalten auf ihn lauerte, da wurde selbst dem sonst furchtlosen Ritter bange ums Herz und er fragte sich mehr als einmal, ob er das tollkühne Wagnis wohl auch glücklich überstehen werde. In dieser Not warf sich der Ritter zu Boden und betete gar inbrünstig zum wundertätigen Gnadenbild der Muttergottes von Mariapfarr, rief sie um ihre Hilfe an und unterstellte sich ihrem mächtigen Schutz. Und siehe da! Wie der Ritter so kniete und die Muttergottes so inniglich um ihre Hilfe anrief, flog ein leuchtendes Würmchen, ein Johanniskäferchen, auf ihn zu und setzte sich auf seine Hand. Der Ritter deutete dies als ein Zeichen des Himmels, als einen Boten, den ihm die Gottesmutter gesandt, um ihn durch den greulichen Schlund des Turmes zu Babel zu führen. Mutig bestieg er nun sein Streitroß und drang in den Turm ein. Das Johanniskäferchen flog vor ihm her und erhellte mit seinem Lichtlein die greuliche Finsternis des Turmes, den er nun im Sturmgebraus durchmaß. Er hatte Eile, um in der kurzen Spanne von einer Stunde den mächtigen Turm zu durchreiten und rechtzeitig aus dem Bereiche der fürchterlichen Ungeheuer, die darin hausten, zu entfliehen. Jetzt aber regte sich nichts, denn wie gebannt lagerten die Bestien rechts und links des Weges und glotzten den wie im Fluge dahinjagenden Reiter mit ihren blutgierigen Augen gefahrdrohend an, bereit, jeden Augenblick sich auf den kühnen Eindringling zu stürzen. Doch jetzt waren all diese Ungeheuer vom Banne der Vormitternachtsstunde umfangen, die ihrem Toben Einhalt gebot. Erst der gewaltige Schall des Mitternachtshornes sollte sie aus ihrer Ruhe erwecken. Und dies sollte nicht mehr lange währen, denn die Stunde näherte sich ihrem Ende! Dies wußte auch der Ritter; immer wieder spornte er sein schweißbedecktes Pferd zur Eile an. Schon sieht er das Ausgangstor vor sich, nur noch einige Minuten, und er ist geborgen. Da plötzlich ertönt des Hornes Schall und im Nu sind alle Bestien entfesselt. Zu letzter Kraftanstrengung spornt der Ritter sein Streitroß an. Doch vergebens hinter sich vernimmt er bereits mit Entsetzen das Rasen des wilden Heeres, heran kriechen Drache, Lindwurm und Molch. Noch entkommt ihnen der Reiter mit seinem mutigen Roß da, fast am Ziele des schrecklichen Rittes, braust es durch die Lüfte und in die Lenden des Rosses krallt sich der schrecklichste Räuber, der Vogel Greif. Wild bäumt sich das arme Tier auf im fürchterlichen Schmerze, das andere Geschmeiß naht mit Sturmeseile, und sicher wäre der Ritter verloren gewesen, hätte nicht Gott ihm Mut und Geistesgegenwart gegeben. Behende riß er das Schwert aus der Scheide und trennte mit gewaltigem Hiebe die eingekrallten Pranken vom Leibe des Untiers. In letzter Kraftanstrengung holte das Roß zu einem mächtigen Sprunge aus und stand im nächsten Augenblick mit dem Ritter gerettet im Freien.
Ruhmbedeckt kehrte der tapfere Ritter von Tannhausen von seiner abenteuerlichen Fahrt in die Heimat zurück und führte Ehrentrudis, des gestrengen Gaugrafen holdes Töchterlein, als Gemahlin auf seine stolze Ritterfeste Moosham.
Zum ewigen Andenken und als Dank für seine glückliche Rettung und Heimkehr opferte der Held Panzer, Schwert, Schild und Helm sowie die abgehauenen Pranken des Untieres der wundertätigen Gnadenmutter von Mariapfarr; die Rüstung legte der Ritter zum Beweise seines Rittes durch den Babylonischen Turm bei.
Ein Nachkomme des Ritters soll diese Rüstung durch eine Nachbildung aus Pappe und Holz ersetzt haben. Unterhalb dieser Votivgegenstände dort, wo heute der Taufstein steht soll sich ursprünglich das Grab des Ritters Tannhauser befunden haben *).
*) Mitgeteilt von Hochw. Pfarrer Josef Mühlbacher, akadem. Bildhauer, Schöpfer der schönen Kriegerdenkmäler von Mariapfarr und Tamsweg.
Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu
bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 31