Die Frau auf der Filz
Am Übergang von Hinterthal nach Dienten, auf der sogenannten Filz, stand einst ein einsames Haus, in dem ganz allein und verlassen eine alte Frau lebte. Als sie starb, blieb der Bau leer, und im Laufe der Jahre verfiel er. An einem stürmischen Winterabend wanderte einst ein Jäger über die Filz. Es begann heftig zu stöbern und so war er froh, als er die Ruine in der Dämmerung vor sich auftauchen sah. Er trat ein, suchte die Küche auf, die noch halbwegs erhalten war, machte im Herd ein Feuer an und hing den Mantel und die Schuhe zum Trocknen auf.
Plötzlich trat eine Frau in den Raum. Der Jäger erkannte zu seinem Entsetzen, daß es die längst verstorbene Besitzerin war. Sie machte sich mit dem Geschirr zu schaffen und fing schließlich zu kochen an. Der Jäger wagte vor Angst kaum zu atmen, doch die Alte wandte sich zu ihm und sagte: „Magst ein Mus?" Der Jäger war so hungrig, daß er seine Furcht vergaß und bat, mitessen zu dürfen.
Das Mus duftete gar köstlich, und er setzte sich an den Tisch, um das leckere Gericht zu verspeisen. Da bemerkte er, daß das Mus auf einer Seite ganz schwarz geraten war, während es auf der anderen köstlich goldgelb aussah. Wo sollte er zu essen anfangen? Doch weil er ein bescheidener Mann war, löffelte er zuerst den verbrannten Teil hinunter und verspeiste zuletzt den goldgelben Rest. Die geheimnisvolle Frau sah ihm unterdessen schweigend zu; doch als er geendet hatte, ging ein verklärtes Lächeln über ihr Gesicht und sie sprach: „Wenn du es umgekehrt gemacht oder gar das Verbrannte stehen gelassen hättest, wäre es um dein Leben geschehen gewesen, und ich hätte dir den Hals umgedreht. Nun aber bin ich erlöst." Nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, stand sie auf, schritt hinaus in die finstere, stürmische Nacht und wurde seither nicht wieder gesehen. Der Jäger aber verließ eiligst das Haus und war froh, heil von dieser Stätte des unheimlichen Geschehens wegzukommen.
Quelle: Josef Brettenthaler, Das Grosse Salzburger Sagenbuch, Krispl 1994, S. 177