Sagen aus Rauris
Die „Rauris" war im Mittelalter gleich dem benachbarten Gasteiner Tal wegen ihres Goldreichtumes weithin bekannt und berühmt. Noch stehen da und dort im Tal uralte, gemauerte Häuser, die mit ihren mächtigen Gewölben und ihrem wuchtigen Gebälk von der Wohlhabenheit der vergangenen Zeit künden. Ein solcher Bau ist z. B. in Rauris der alte „Samerstall" („säumen" = mit Tragtieren die Bergpässe überschreiten), der von schönen Säulen gestützt ist. Die bedeutendsten Gewerken der Rauris waren die Zott und die Ainater. Der Sage nach liegt der Schatz der Zott in Gestalt eines goldenen Pfluges bei der Einödkapelle vergraben, und auch der der Ainater wartet in Form eines mit Gold gefüllten Kessels nahe derselben Stelle schon seit Jahrhunderten auf seine Hebung. In Christnächten, in denen der Vollmond leuchtet, irrt um die Einödkapelle ein Licht; auch ist dort heute noch ein Stein mit einem seltsamen Abdruck zu sehen. Diesen schlug einmal der Goldkessel, als ihn zwei verwegene Schatzsucher schier schon gehoben hatten, dann aber der Teufel dazwischenfuhr und sie ihn fallen lassen mußten!
Vom Teufel wurde überhaupt früher in der Rauris viel erzählt! So gelangte einmal ein Kaufmannssohn, der es wegen seines liederlichen Lebenswandels auf keinen grünen Zweig gebracht hatte, auf der Wanderschaft nach Rauris und kam auf der Suche nach Arbeit unter die Erzlieferer. Diese Knappen füllten das Erz in Säcke und banden diese auf Schweins- oder auf Hundshäute. Einundzwanzig Säcke wurden gewöhnlich hintereinander gebunden, und zwei Männer - einer vorne und einer hinten - lenkten den „Sackzug" durch die sogenannten Sackziehriesen zu den „Pochern" ins Tal. Der Kaufmannssohn lenkte seinen Zug stets allein. Beim Abfahren sagte er: „Hab Toifl, hab Toifl!" (halte zurück!); kamen dann weniger steile Hänge, so schrie er: „Schoib Toifl, scheib Toifl" (schieb an!). Eines Tages aber rief er zum letztenmal nach seinem Helfer. Der Sackzug ging seitaus und stürzte samt dem Lenker in ein wildes Tal. Das war des Frevlers letzte Fahrt; das Tal heißt aber heute noch das Kaufmannstal.
Rauriser Perchtenläufer *), sogenannte „Schiachperchten" (schiach = häßlich), die als „Ganggerln" (Teufel) verkleidet ihre Tänze und Sprünge im Advent vorführten, tanzten einmal auch auf dem Platz vor dem Palfnerbauern im Vorstanddorf. Der Oberteufel legte vor dem Tanz sein Skapulier (vor bösen Mächten schützendes, geweihtes Kreuzchen, ein Schutzengelbildchen usw.) weg. Dadurch artete der Obertoifl während des Tanzes ganz arg aus, ohne daß er es selbst wollte. Er vollführte solche Sprünge, wie noch niemand so hohe gesehen hatte. Er sprang über der großen Brunnstube hm und her wie ein Besessener. Die anderen packte kalter Schreck, als sie sahen, daß der Rasende plötzlich Bockklauen hatte statt der Füße! Sie besprengten ihn mit Weihwasser, aber alles half nichts. Da kamen sie auf den Einfall, ihn mittels der Feuerspritze mit Weihwasser zu begießen. Das half! Er fiel wie tot zu Boden und tat keinen Rührer mehr. Als man ihm aber dann das Skapulier umhängte, kam er wieder zum Leben. –
Der alte Bergbau hat aber noch eine Menge anderer Sagen hervorgebracht. So sollen in den weitverzweigten Stollen einstmals die Bergmandl oder „Nergl" gehaust haben. Am Barbaratag (4. Dezember) stellten die Knappen für sie Essen und Trank auf den Tisch und hingen für die Geistlein ein „rupfenes Grubengwandl" in den Stollen. Dafür zeigten sich die Männlein dankbar und führten die Knappen auf erzreiche Gänge.
Auch mit guten Ratschlägen sparten mitunter die „Nergl" nicht. So einmal meinte eines zu einem Knappen: „Oes muaßt's dö Küah ban Auta (Euter) melchn, nicht ba da Häana (Hörner)." Das Männlein wollte damit ausdrücken, daß immer zu hoch oben am Berge nach dem Gold gegraben werde. Leider wurde aber dieser gute Rat nicht befolgt.
Bitterböse aber wurden die „Nergl", wenn ein Knappe an Sonn- oder Feiertagen arbeitete! Häufig wurde dann ein solcher Frevler tot im Stollen aufgefunden - „'s Bergmandl hat'n dadruckt".
Ein Knappe wollte einmal auf der Goldzeche gar zu gerne sehen, wie sich das Bergmandl das Barbaramahl holt. Er verkroch sich im Stubenofen und guckte durch ein kleines Loch in die Kammer. Das Bergmandl kam wirklich, doch es rührte das Essen nicht an, sondern ging auf den Ofen zu und klopfte mit seinem Hämmerchen auf das Guckloch. Von dieser Stunde an war der neugierige Knappe für immer erblindet. –
Wenn die Knappen arbeiteten, hörten sie aus der Ferne das Schaufeln und Pickeln der Männlein. Gingen sie schweigend diesem Ton nach, dann stießen sie auf eine erzreiche Ader. Pfiff aber einer vor Freude, so hörten sie deutlich, wie die „Nergl" das Erz wegschafften, und sie fanden alsdann an dieser Stelle nur mehr taubes Gestein. –
Auch von Goldquellen in der Rauris berichtet die Sage. Es soll vorgekommen sein, daß Tiere, die an solchen Wasserstellen tranken, dann Gold im Magen trugen.
Es wird auch von gefährlichen Zauberern berichtet, die in vergangenen Jahrhunderten in der Rauris ihr Unwesen getrieben haben. Sie verstanden sich vor allem auf das „Verticken" (Böses anwünschen). Kühe gaben plötzlich keine Milch mehr, den Leuten wurde „der Gsund" (die Gesundheit) genommen, Mensch und Tier „der Krank" (Krankheiten) angewünscht. **)
Einer, der es am ärgsten trieb, war der „Hennabua". Sein Name rührt daher, weil er, der immer wieder vergeblich von der hohen Obrigkeit gesucht und verfolgt wurde, auf seiner Flucht über die Schneefelder hin nur die Spur von Hühnerkrallen hinterlassen hat. Auch der Zaubererjackl aus dem Lungau soll eine Zeitlang in der Rauris allerhand angestiftet haben. Gleich ihm konnte sich auch der „Hennabua" in eine Torsäule, eine Wagendeichsel, einen Holzkübel und ähnliches verwandeln, wenn ihm etwa seine Verfolger zu nahe gekommen waren.
*) Vgl. Perchtenlauf in der Gastein und in Saalfelden.
**) Vgl. mit den „Rester"-Sagen im Großarltal und mit den „Bauernzauberern" im Flach- und Tennengau.
Unter Benützung von „Sagen aus dem Rauriser Tal", von Volksschuldirektor Siegmund Narholz, veröffentlicht im 51. bis 53. Jahresbericht des Sonnblickvereines für die Jahre 1953-1955. Narholz (†) war ein hochverdienter Heimatforscher des Rauriser Tales. Weitere Quellen: u.a. Pinzgauer Heimatmappe und R. v. Freisauff und Marie Andree-Eysn: „Volkskundliches aus dem bayrisch-österreichischen Alpengebiet".
Quelle: Josef Brettenthaler, Das Grosse Salzburger Sagenbuch, Krispl 1994, S. 177 - 179.