Der Donanadl
In der Hochfilzen hauste vor Zeiten der "Donanadl", eine Art Alpengeist. Im allgemeinen galt er für herzensgut. Er war klein von Gestalt, sah greisenhaft aus und trug stets schlechte, zerlumpte Kleider. Oft erschien er einzeln, oft aber wieder waren ihrer mehrere beisammen. Hatte sich auf der Alm irgendwo ein Donanadl gezeigt, so durfte man überzeugt sein, daß das Vieh vor allen Unfällen geschützt, daß der Milchertrag ein bedeutend größerer war als auf anderen Almenwirtschaften, die sich nicht des Schutzes eines so guten und wohltätigen Geistes erfreuten. Fiel während des Sommers Schnee, so trieb er gewiß das Vieh von den steilen und rutschigen Abhängen, wo es Gefahr lief, abzustürzen, herab auf sichere Grasplätze. Daß aus diesen Gründen die Besitzer solcher Almen, aus denen sich Donanadl aufhielten, von anderen sehr beneidet wurden, ist wohl leicht begreiflich. Diese Schutzgeister kehrten auch häufig in den Sennhütten ein, aßen mit den Hirten und Melkern, mit den Sennern und Sennerinnen, wenn man ihnen Speise bot. Oft aber verschwanden sie urplötzlich aus dem Kreise der sie bewirtenden Alpler, ohne daß diese wußten, wohin sie gekommen wären. Zur Winterzeit wohnten die Donanadl in den Krippen der Ställe. Kam dann einmal die Futterdirn zu spät in den Stall, so durfte sie versichert sein, daß diese kleinen Geister schon das Vieh betreut und mit Futter reichlich versehen hatten. Mit letzterem gingen sie immer verschwenderisch um, trotzdem trat nie ein Mangel an solchem ein.
Die Donanadl erlaubten sich auch, das Vieh von den Ketten loszulassen, was doch sonst so strenge verpönt ist, allein wo sie es taten, durfte man gewiß sein, daß kein Unfall sich ereigne, unter ihrer segenbringenden Hand gedieh ja alles auf das allerbeste.
So gut sie nun sein konnten, ebenso bösartig wurden sie, wenn ihnen ein Melker übel mitspielte.
Auf einer Alm, der sogenannten "Grünalm", lebte einst ein solcher Melker, der aus seinem Unverstand die kleinen Männlein nicht ausstehen konnte. Als er eines Tages hinaus auf die Weide ging, um nach den Kühen zu schauen, erblickte er zwischen den Hörnern der Glockenkuh, welche, wie immer, die schönste der ganzen Herde war, ein Donanadl sitzen. Darüber geriet er nun in solche Wut, daß er, seines Zornes nicht mehr mächtig, mit seinem Bergstocke zu einem gewaltigen Schlage ausholend, das Männlein herabschlug. Dieser erhob sich aber unversehrt vom Boden, hob drohend den Zeigefinger und sagt mit tiefer Stimme in gar ernstem Tone:
"Grünalm bär ab,
An Wasser und an Gras,
An Wasser noch viel baß (mehr)!"
Von diesem Moment war der Segen von der Grünalm gewichen. Die besten und reichsten Quellen versiegten, das Gras verdorrte an vielen Stellen, ohne wieder nachzuwachsen, und schon wenige Jahre darauf konnte nur mehr der fünfte Teil des Viehes aufgetrieben werden, so sehr hatte die Ergiebigkeit des Bodens abgenommen. Der Donanadl wurde seither auf der Grünalm auch nicht wieder gesehen.
Auf den Abhängen im Salzachtale standen zu jener Zeit viele Futterställe, in welchen man - von Menschen unbeirrt - noch hin und wieder solche kleine Männchen sehen konnte. Der letzte Donanadl aber verschwand, als eine mitleidige Sennerin, die damit ein gutes Werk zu tun vermeinte, ihm einen guten Rock statt der armseligen Kittels schenken wollte, den er trug. "Au weh!" - rief er da -, "jetzt muß auch ich gehen!" Damit verschwand er und ward nie mehr wieder gesehen. Doch will man ihn drei Tage später in einem abgelegenen Winkel des Stalles noch bitterlich klagen und weinen gehört haben. Gesehen hat ihn aber keiner mehr.
Quelle: Adrian Karl, Alte Sagen aus dem Salzburger
Land, Wien, Zell am See, St. Gallen, 1948, S. 91-92