DAS LOFERER FRÄULEIN
1. Sage
Bei Lofer, an der Grenze zwischen Tirol und Salzburg, ist im Gebirge eine
Höhle, in welcher ein Fräulein wohnt, welches reiche Schätze
besitzt und zu erlösen wäre, aber nur wenige gelangten in ihre
Nähe; gewöhnlich erblickten die Eintretenden ein unheimliches
Wasser, in dessen tiefen Schlünden sie untersinken müßten
und mit Leib und Seele verloren wären. Da war im Dorfe ein armes
Ehepaar, welches zwei Kinder hatte, die in Gesellschaft eines alten Bettlers
in der Nachbarschaft herumgehen mußten, zu betteln. Einst führte
der Bettler die Kinder zum "Loferer Loch" - so wird nämlich
die obenerwähnte Höhle genannt - und sagte, hier sollen sie
hineingehen, sie würden da drinnen viel, recht viel bekommen, er
selbst könne nicht hineinkommen, weil er alles voll Wasser sehe.
Die Kinder, welche noch rein und ganz unschuldig waren, gingen trockenen Fußes durch den Felsengang und gelangten zu einem grünen Platz, auf welchem ein paar prächtige Häuser standen. Vor dem einen Hause stand eine schöne Jungfrau, welche die Kinder baten, sie möchte ihnen für ihre armen Eltern daheim etwas schenken. Die schöne Jungfrau blickte sie freundlich an, führte sie ins Haus und in ein fürstlich eingerichtetes Zimmer, gab ihnen zu essen und zu trinken und sprach: "Mehr kann ich euch für heute nicht geben, aber bleibet bei mir über Nacht, dann sollt ihr morgen so viel bekommen, als ihr zu tragen imstande seid und womit euern Eltern und euch für viele Jahre geholfen sein wird. Eins aber merkt euch", setzte die Jungfrau hinzu, "nicht fürchten dürft ihr euch, wenn ihr während der Nacht außerordentlich schaurige Erscheinungen sehen solltet, denn ihr steht in Gottes Hand, und der Schutzengel ist an eurer Seite - euch wird nichts geschehen, und ihr könnt mich sogar erlösen, und dann werdet ihr glücklicher als der Kaiser". Die armen Kinder gelobten, sich nicht zu fürchten, und gingen in das Schlafzimmer der Jungfrau, welche nahe zu ihrem schönen Bette auch Betten für die kleinen Gäste hinstellen ließ, wo sie dann bald einschlummerten.
Aber um Mitternacht erweckte sie Flammengeprassel, sie sprangen empor und sahen das Bett der Jungfrau liebterloh brennen und sahen, wie sie sich in den Flammen wälzte, die von fürchterlichen Geistergestalten neu angefacht wurden, wenn sie zu verlöschen schienen, und sahen des Schrecklichen mehr und mehr, und so viel, daß sie von ihren Betten hinaussprangen und ohnmächtig zu Boden sanken. Der goldene Morgenstrahl fiel schon lange ins Zimmer, als die zwei Kinder aufwachten, und das schöne Bett wie eh und vor, und alles im Zimmer so rein und ohne Brandzeichen fanden, daß sie gar nicht wußten, wie ihnen geschah. Und als die neben ihnen stehende Jungfrau in der gleichen Schönheit und Milde mit ihnen sprach, da hätten sie alles für einen bösen Traum gehalten, wenn sie dieselbe nicht belehrt hätte, daß sie in jeder Nacht eine solche Pein leiden müsse, von welcher sie durch die unschuldigen Kinder die Erlösung hoffte.
Die Jungfrau füllte ihre Mehlsäcklein mit Goldstücken und befahl ihnen, nun heimzugehen, dies den Eltern zu bringen und davon Almosen zu geben: nur dem Manne, dem alten Bettler, der sie begleitet habe und ein großer Bösewicht sei, dem sollten sie keinen Pfennig davon mitteilen - so befahl die Jungfrau. "Ihr dürft auch nicht beim Eingang hinaus, wo ihr hereingekommen seid" - sagte sie - "der böse Bettler paßt dort auf und würde euch das Gold abnehmen und euch töten. Folgt meinem Befehl und kommt in dreimal sieben Tagen wieder her, dann wollen wir über das Erlösungswerk mehr sprechen." Sprach's und führte die Kinder durch einen verborgenen Gang' vor die Höhle hinaus, und diese liefen eilend nach der Heimat. Im Bettlerhause war nun alles anders geworden; die Zimmer neu eingerichtet, Speck im Rauchfang und Schmalz in der Küche genug und Freude überall. Auch die Armen wurden gut bedacht, nur der böse Bettler nicht.
Der wußte aber so bitterlich zu weinen ob dem Undank, da er den Kindern die Glücksquelle gezeigt, daß die Kinder gerührt wurden und die Eltern nicht minder und ihm eine ansehnliche Summe vom Golde der Jungfrau schenkten. Nach dreimal sieben Tagen gingen die Kinder in die Höhle; doch wie sie einige Schritte vorwärts schlichen, fanden sie alles voll Wasser; und eine höllische Lache erscholl vom bösen Bettler, der beim Eingang stand, der etwas mehr wußte als andere Leute und der sagte, daß es mit der Erlösung nun alle sei, weil sie dem ersten Schritte dazu, "dem Gehorsam", nicht entsprochen und gegen den Auftrag der Geberin ihm ihr Gold geschenkt hätten.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben
von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 9