Der Venediger Luftfahrt
Oberhalb Gerlos, da, wo das Zillertal an das Salzburgische grenzt, liegt das Krummbachtal und die "wilde Krimml" mit einer großen Schafalpe. Auf dieser sind drei Seen reich an Schätzen aller Art, und unterhalb derselben stürzt ein mächtiger Wasserfall tosend nieder. In der ganzen Umgegend vernimmt man einige Stunden vor einem Unwetter ein gewaltiges Aufbrausen der Seen, dem sicher ein heftiges Gewitter folgt. Jene Schafalpe war vor Zeiten Eigentum eines Bauern, der zuweilen mit Handschuhen und anderer Ware in die Fremde zog und damit Handel trieb. Einst führte ihn sein Weg auch nach Venedig. Da traf er zwei Venediger, die von dem Schätze-Reichtum der obigen Seen gehört hatten und sich nun bei ihm nach denselben erkundigten.
Der Venediger Luftfahrt
© Künstlerin
Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm, Anita Mair-Rehm, für SAGEN.at
freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt
"Die liegen gar nicht weit von hier!" meinte der Bauer, worauf die beiden Venediger ein dreieckiges, schwarzes Tuch hervorzogen, von welchem jeder einen Zipfel, der Bauer den dritten fassen und festhalten mußte; alsbald erhoben sie sich in die Lüfte und gelangten rasch zu den Seen. Hier angelangt, schlugen die Venediger mit ihren Stäbchen kreuzweise auf das Wasser. Dieses teilte sich sofort, so daß sie auf den Seegrund hinabsteigen konnten. Hier fanden sie Gold und blaue Lasur in Menge und nahmen mit sich, soviel sie nur zu tragen vermochten. Auch der Bauer erhielt sein Teil an den aufgefundenen Schätzen, doch durfte er nur so lange in der Tiefe weilen, bis die Venediger nach Venedig zurückgekehrt waren.
Als die Franzosen und Bayern ins Land drangen, vergrub der Bauer seinen Reichtum unter dem Wasserfall. Ehe er ihn wieder hervorholen konnte, erkrankte er indes. Er rief seinen Knecht und bezeichnete ihm genau den Ort, wo das Geld liege. Der ging hin, kehrte aber, von nicht geringem Schreck erfaßt, sofort wieder um, denn an der bezeichneten Stelle saß ein großer schwarzer Hund, der ihm grimmig die Zähne wies. Entsetzt eilte er nach Hause, um seinem Herrn zu melden, was er gesehen. Doch der war tot!
Seitdem hat es niemand mehr gewagt, den Schatz zu heben, und noch heute ruht er unberührt unter dem Wasserfalle.
Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd.
2, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 414 f, zit. nach Leander Petzold, Sagen
aus Salzburg, München 1993, S. 210.