Der Vögei spaltet Eis
Diese Sage betrifft zwar das Gemeindegebiet Fusch im Gebiet des Großen Wiesbachhorns, sie handelt aber von einem Piesendorfer Bauern, dem Vögei.
Unter dem Eis des Wiesbachhorns im Fuscher Tal haust der Vögei, der im Leben einer der reichsten Bauern des Pinzgaus war und mehr als 24 Dienstboten beschäftigt hatte. Sein Herz aber war böse und erfüllt von Geiz und Neid. Im ganzen Pinzgau war er wegen seiner Härte gemieden und gefürchtet. Klopfte ein Armer an seine Türe, so wurde er mit Schimpfworten abgewiesen, nicht selten auch mit Hunden von der Schwelle gehetzt. Den ganzen Tag über fluchte der Bauer grauslich und schalt das Gesinde, das bei magerer Kost zur härtesten Arbeit angehalten wurde.
Eines Tages stieg er im Dämmerlicht zu seiner Alm empor, um nachzusehen, ob seine Knechte, die er zum Holzfällen hinaufgesandt hatte, auch flink die Hände rührten. Er fand sie feiernd und betend. Da erfaßte ihn fürchterlicher Zorn. "Was unterbrecht ihr eure Arbeit, ihr Faulpelze?" schrie er sie an.
"Herr, hört ihr nicht das Aveläuten vom Tal herauf? Wir geben nur Gott, was Gottes ist".
"Daß euch der Teufel hol', ihr Betbrüder!" erwiderte der Vögei wütend. "Ich geb' euch Arbeit, auf mich allein habt ihr zu schauen. Ich bin euer Gott, ich gebe euch den Lohn, für mich habt ihr das Holz zu spalten, auf mich ganz allein dürft ihr nur bauen!"
Kaum waren diese Frevelworte gesprochen, so nahte sich auch schon die Vergeltung. Tiefe Nacht sank hernieder, der Sturm heulte sein schauerliches Lied, dumpfe Donnerschläge machten die Erde erzittern, und grelle Blitze beleuchteten das wilde Schauspiel der entfesselten Elemente. Da fuhr Gottes Racheblitz hernieder und schleuderte den Frevler mit ewigem Fluch beladen hinab in die eisige Nacht der Gletscher.
Wenn das Wiesbachhorn aber von den erwärmenden Sonnenstrahlen getroffen wird und sein Gletscher donnernd zu krachen beginnt, dann wacht der Erstarrte auf und versucht vergeblich, durch wuchtige Schläge die mächtigen Eiswände, die ihn gefangenhalten, zu brechen. Dann sagen die Hirten und Senner: "Heut spaltet der Vögei wieder Eis!"
Mit der sinkenden Sonne aber erlahmt dann seine Kraft wieder, und er
fällt in die alte Erstarrung zurück, aus der ihn wohl erst die
Posaunen des Jüngsten Gerichtes erlösen werden.
Quelle: Heimatbuch Piesendorf, Hofrat Dr. Max
Effenberger, Piesendorf 1990, S. 563