Knappenfest in Böckstein.*)
Soweit die Sage. Besonders lebendig schilderte Rudolf v. Schnehen in der etsten Ausgabe seines Romanes "Aus Paris Lodrons Tagen" ein
*) "Aus Paris Lodrons Tagen" von Rud. Schnehen, Ost. Bd. Verlag. (Neuausgabe.) Obiger Abdruck der in dieser Ausgabe nicht mehr aufgenommenen Stelle erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
Aus den Fenstern der alten Bergknappen-Taverne in Böckstein quoll rötlicher Lichtschein durch Qualm und Dunst und beleuchtete schwach den frühjährlich morastigen Saumweg, der von der reichen Gastein über den Mallnitztauern ins Kärntnerland und weiter nach Welschland führte. Am Tage glich der Weg einem Sumpfe, doch mit vorgerücktem Abende war Frost eingefallen und überzog die Pfützen mit dünnem Eise, das im Widerschein des Lichtes glitzerte. An den langen, altersgrauen Holzzäunen, die den Pfad einschlossen, hatten sich noch zusammengewehte Schneemassen erhalten; unter der Schmutzkruste, die sie überzog, flimmerte es hie und da silbern in kristallener Reinheit; so blitzt in verbittertem Herzen immer wieder der Drang nach Gutem und Schönem unter dem Zwange grauer Welterfahrung auf. Aus der Schenke tönte lauter Lärm ungefüger Stimmen und mächtiges Gestrampfe nach dem Takte einer wimmernden, schnarchenden Musik; weithin scholl es durch die stille Nacht und konnte verspätetem Wanderer wohl als Wegweiser dienen zum Knappenfeste. Und ein hoher Festtag war es für die Knappenschaft des Goldbergwerkes am Radhausberge. Der Bergbetrieb, durch Wintereis zum Stillstand gezwungen, sollte nächsten Tages wieder eröffnet werden.
Mit Hochamt, bei Kerzenglanz und Musikschall hatte am Morgen der Pfarrer
von Gastein den himmlischen Segen aufs irdische Werk herabgefleht; die
Beamten und Knappen in dem Kirchlein horchten auf, wie er in wohlgesetzter
Predigt das Leben mit einem tiefen Bergwerke verglich, in dessen schwarzem
Grunde die guten Werke gleich Goldkörnern blitzen, die der eifrige
Bergmann häufig hervorbringe, der faule aber fördere nur nutzlos
taubes Gestein; und der himmlische Bergherr läßt den ersten
einfahren in den goldenen Schacht des Himmels, der glänzt und funkelt
von Freud und Seligkeit, der andere aber muß hinab zu Molch und
Wurm und zum ewigen Drachen im tiefsten Schlunde. Und dann sprach er,
wie auch des Geistlichen Rock schwarz sei, gleich des Bergmannes Tracht
und wie auch jener einfahre in den Berg des Lebens und kehre zurück,
köstlich beladen mit dem reichsten Schatze, gerettete Seelen aus
dem Pfuhle des Unglaubens und der Ketzerei.
Heimlich flogen die Blicke umher in den Bänken; mancher der dasaß,
das Gesicht in den Händen, war vor kurzer Frist noch lutherisch gewesen
und mochte auch der neu angenommene Glaube nicht fester sitzen als der
verleugnete. Und so manche saßen gar draußen am Waldhange
unter den Bäumen; die Schelmenbeine rollten auf ausgebreitetem Mantel,
die bunten Karten tanzten lustig, kräftiger Enzianduft stieg auf
aus grobbemaltem Fäßlein. Abwärts aber von den Wilden
saßen ein paar ältere Männer in ihrem ernsthaften Schwarz
und lasen still aus altem, großem Buche; dann zitterte von ihren
Lippen leise ein deutscher Sang, eine kriegerisch-fromme Weise, und sie
reichten sich die Hände, die Augen schimmerten feucht.
Nach dem Gottesdienste war es in den Räumen der Taverne voller geworden
als in der Kirche und jene Burschen, die in der Kirche gefehlt, waren
hier die lustigsten Ersten. Eng saßen die Mannen beisammen; im gewölbten
Hausflure selbst hockten sie auf Brettern, über Fässer gelegt,
vor sich als Tische andere leere Fässer, darauf die mächtigen
Bitschen, feucht glänzend vom braunen Biere. Anfangs mußte
mancher noch stehend trinken, der Sitzgelegenheit ermangelnd, doch dem
wurde bald abgeholfen; der leeren Fässer Zahl stieg erfreulich mit
der Stimmung und ein allgemeines Jauchzen empfing am vorgerückten
Nachmittag den Schneider-Toni aus Hofgastein, der so schön und schrill
die Geige spielen konnte, daß man sie durch den gestrampftesten
Ländler noch quieken hörte. Und hinter dem lustigen Schneider
kamen seine Genossen, eine fidele Kumpanei gemütlicher musikmachender
Lumpen mit etwas fragwürdigen Instrumenten. Jedoch lag wenig daran.
Lärm machten sie genug, das war die Hauptsache; daß sie sogar
ziemlich im Takte fiedelten und bliesen, war noch eine angenehme Zugabe.
Und hinter der Musik leuchteten rote Wangen und blitzende Äuglein
musterten scheinbar verschämt, doch listig und lustig die Burschen,
bis der Rechte erschaut, der nun mit Jauchzen und Springen das Dirndl
in die rasch zum Tanzsaale hergerichtete Stube führte. In einer Ecke
nahmen die Spielleute Platz, was früher Tisch und Sessel, ward jetzt
zusammengeschoben und zum Podium gemacht. Durch die matten, dünnen
Scheiben aus Marienglas fiel nur mehr trübe das Licht herein in die
staub- und dunsterfüllte Stube. Der Wirt fetzte daher die blakenden
Öllampen in Brand, die Paare traten zum Tanze an, Schneider-Toni
als Regenschori strich mit dem Bogen die schwirrenden Saiten.
Und immer höher wogte die Lust und flogen die Röcke im drehenden,
schwingenden Ländler. Der Bierstrom war versiegt; Knappen, die vielleicht
nächsten Tags schon einen hundertpfündigen Goldklumpen finden,
kredenzen Besseres ihren Schönen, trinken selbst Besseres, trinken
den schweren, roten Wein von den Hügeln Bozens und Terlans, und der
Wein ist gekocht mit Honig drin und Stücken von den teuern fremden
Äpfeln, die rot oder gelb aus Welschland kommen und wovon die einen
so süß, die andern aber so herb sind, die aber zusammen eine
gar herrliche Mischung ergeben. Limoni nennt der welsche Krämer die
herben, gelben; die andern aber, sagt er, sind Äpfel, die vom andern
Ende der Welt kommen, von den Sinesen in Asia, und sie seien eigentlich
Goldes wert und nur weil er sich nicht traut, in diesen Kriegszeiten das
kostbare Gut an des Kaisers Hof zu bringen oder gar nach Böhmen zum
großen Herzog "Nagliensteino", so gibt er sie her, rein
geschenkt, mit dem dreifachen Gelde noch rein geschenkt. Aber der heiße
Wein steigt in die heißen Köpfe und macht zugleich die Füße
schwer, dafür die Messer in den Hosentaschen lebendig.
Da und dort geht's schon los, gell schreien die Weiber auf; trotzdem
läßt die Neugier keine weichen, gar wenn es so süß
kitzelnd ums Herz sich legt: Deinetwegen wird leicht einer gestochen.
Aber die Armen werden enttäuscht. Der Wirt und ein paar ältere,
besonnene Männer mit kräftigen Fäusten sind stets rechtzeitig
als Friedensstifter da. Und die Geige kreischt und hinter ihr her brummt's
und schrillt's und wimmert und schnarcht es und im Takte dröhnt das
Gestrampfe.
Aber Wein und Minne machen hungrig und wenn die Musikanten - was nicht
selten - ihre Nasen verstecken im großen Kruge, der stets neu gefüllt
bei ihnen rundumgeht, dann sitzen Bursch und Dirn einträchtig im
Vorflure. Hat sie keinen Platz, so sitzt sie auf seinem Schoße,
sein linker Arm umfaßt die derben Hüften, daß das Mädel
nicht falle, die Rechte haut mächtige Brocken vom Geselchten oder
vom Schweinsbraten herab und schiebt sie samt Kraut und Rüben mit
starkem Messer dem Liebchen in den Mund. Ja, der Tavernwirt war vorsorglich
genug und hat ein feistes Schwein sich durch den Winter gemästet
bis zu diesem Tage. Und zur Zeit der großen Kälten waren sie
alle in der rußigen Küche zusammengekrochen, der Wirt mit der
Wirtin und dem lieben Kindlein, das Gesinde, der Hofhund, die Hühner
und das Schwein und lebten einträchtiglich und sonder Streit und
Hader und nahmen Wärme vom großen Ofen, drin das Feuer Tag
und Nacht prasselte und dünsteten wieder Wärme aus. Nun aber
war der treue Freund und Hausgenosse tot. Schmunzelnd hörte der Wirt
die lobspruchreichen Leichenreden, die dem Verblichenen galten; wie er
sein weißes Fleisch so schön mit noch weißerem Fett unterspickt
habe, wie schmackhaft seine Würstchen, in Summa, wie ergötzlich
er dem Menschen - nach seinem Tode. So mögen die Erben lachenden
Auges dem toten Geizhalse nachreden. Und rings schmatzte es von fettblinkenden
Lippen, hungrige Augen glänzten begehrlich und lieblich klapperten
Messer und Löffel die Melodie des Magenliedes.
Ein Bursche aber, der hatte schon mehr getrunken als billig und war vorhin,
nicht dem eigenen
Willen, sondern kräftigem Schubser folgend, in taumelnder Eile auf
ein Fäßlein gesunken und hatte den Ärger drob noch nicht
verdaut - der sah scheelen Blickes auf die Essenden.
Plötzlich plärrte er grob heraus: "Ist auch was Rechtes,
was ihr da esset! Schweinefleisch! Brat sich auch der Täter am Wegrand
zu Igel und Schermaus. Weiß Besseres!" "Na, was weißt
du Besseres?" So riefen mehrere mit Gelächter. "Wißt
ihr, was es bei der Kaiserkrönung gibt drunten zu Frankfurt? Da brät
ein ganzer Ochs, wie ein Berg so groß, da schneidet sich der Kaiser
davon und die Prälaten; das schmeckt anders zum roten Wein als Schweinsbraten."
Die andern rissen die Mäuler auf. Daß der in seinem Rausche
noch so gescheit, machte Eindruck. Ja, Ochsenbraten, das wäre gar
was anderes gewesen. Anklagend richteten sich die Blicke auf den Taverner,
welcher noch dastand in dem Glorienscheine, der vom Schweine auf ihn zurückstrahlte;
nun aber wurde der stolze Wirt klein und sah sich verlassen von wetterwendischer
Volksgunst. Er warf einen zornigen Blick auf den Burschen, der dies angestiftet
und rief: "Seid's gescheit, Leuteln, laßt euch sagen, wo in
aller Welt nahm' ich hier in dem Bergwinkel einen Ochsen zum Braten doch
her?"
"Laß dich selbst braten", schrie's aus dem Hintergrunde
und alle lachten, bis auf den Wirt; ein dritter aber rief: "Haben
nicht die Bauern draußen alle Jahre Ochsen genug, die sie den Berg-Herren
in die Küche verhandeln, oder den Wirten in den Badstuben vom Wildbad,
oder gar hinaus auf Salzburg! Hat nicht der Wiesbauer drunten einen Ochsen,
wird vierjährig, ein Kaiserbraten!"
"Was Kaiserbraten! Was der Kaiser haben kann, das können wir
auch! Woher hätt' er die Kron', hätt' der Bergknapp' das Erz
nicht gegraben." "Morgen fahren wir ein, leicht finden wir den
großen Schatz, und dann muß dem Wiesbauer sein Ochse her,
den fressen wir Knappen!"
So rief und schallte es durcheinander, schlimm hatte der Wein die Köpfe
erhitzt. "Und noch heute holen wir ihn her", brüllte der
Bursche, der zu allererst Gelüste nach Ochsenfleisch gezeigt. Sein
Antlitz glühte, das Auge stierte; auf Bier und Wein hatte er den
schwarzbeerenen Schnaps gefetzt. Er sprang schwankend auf, johlend umringten
ihn einige Genossen. In den berauschten Gemütern schien jener Geist
erwacht zu sein, der sagenhaft Unmenschliches zuwege gebracht hatte.
Denn als sich nochmals der Taverner ins Mittel legte: "Aber Buben
denkt's doch, was wollt's denn mit dem Ochsen machen, könnt's ihn
ja nicht schlachten, nicht braten, nicht essen!" "Narr,"
heulte der Betrunkene, "das geht leicht, lebendig schinden, auf großem
Feuer braten, ist das Fleisch süß und mild wie die Butter!"
Da faßten den Johlenden kräftige Fäuste. "Du schlechter
Gauch!" rief ein alter Hutmann funkelnden Auges. "Sollen wir
alle verflucht sein auf ewige Zeiten und der Schacht mit, ob des grausen
Frevels so wie ehedem?!" Der Bursche riß und drehte sich wütend,
aber um den Hutmann hatten sich die älteren Knappen geschart und
packten an und hielten fest und keiner war, der für ihn die Faust
erhob. Der Hutmann aber rief: "Bind'ts den lauschigen Loder und in
den Stall mit ihm, daß er sich ausschlaft!"
Gesagt, getan; nun murrten zwar einige der rohesten Burschen und hätten
ihren Gesellen gern frei gehabt, doch scheuten sie die Übermacht.
Da johlte im Saale die Geige des Schneider-Toni von neuem auf und jauchzend
strömte der größte Teil der Gäste in die Stube zurück,
in der jetzt der Staub getanzt hatte mit dem Dunste und lustig gewirbelt
um die trüben Öllampen, daß diese tränten und kaum
mehr mit roten Augen blinzeln konnten. Und es quiekte und schnarchte und
wimmerte im Takte, und der Boden dröhnte, die Füße stampften,
die Röcke rauschten und die Juchzer gellten.
Um den alten Hutmann hatte sich im Hausflur am langen Tische eine Runde
geschart, ernste, arbeitsharte Köpfe. Sie waren dem heimischen Braunbiere
treu geblieben; das wärmte, ohne zu erhitzen und machte die Kehle
geschmeidig zu inhaltsvoller Rede; still tranken sie, langsam und bedächtig,
aber viel.
Und der alte Hutmann hub an: "War' uns noch abgegangen, das Schinderstückl.
Jäh war's ausgewesen mit dem Bergsegen und - wer weiß - mit
uns allen. Übermut tut kein gut. 's wird eh, statt besser, alleweil
schlechter. Morgen fahren wir ein und weiß keiner, ob sich 's Gezech
noch lohnen mag." "Wahr ist's, wahr ist's", neigten sich
die Köpfe umher.
"Und hat 's Erz nicht mal den halben Wert wie in der goldenen Zeit,
als ich ein junger Knappe war. Die Hispanier sind schuld daran. Die haben
in dem Amerika Berge aus lauterem Gold, da hacken ihre nackten Sklaven
das Erz von obenauf in Stücken ab und ein See ist dort, der Sand
ist pures Gold und drin schwimmt eine Insel, die hat einen König,
das ist der Goldmann und dem war alles Gold zu eigen und dem haben die
Hispanier es genommen, nur die schwimmende Insel nicht und die trägt
den reichsten Schatz der Welt. Der goldene König aber hat die Hispanier
verflucht und und je mehr Gold sie auf ihren Schiffen herfuhren, desto
ärmer sollen sie werden." "Aber wie kunnt das sein?"
warf einer ein. "Weil's indianisches Gold ist, verstehst, kein christlich
gewonnenes wie unseres; Zaubergold vom Indianerkönig. Unterm Blicke
schmilzt's zusammen, unter den Fingern lauft's davon. Was nützt mir
der Schatz, der zerrinnt wie Schnee im Mai. Das gute Gold aber leidet
mit, kein Blick kennt es auseinander. Fort fahren die Schiffe von dem
Amerika, mit rotem Golde beladen, und was ist's?! Wo du mit einem Goldgulden
durch das halbe Reich gekommen und hat man dich drob noch geehrt, da langen
zwei nicht mehr und sieht dich drum noch keiner an. Das Schlimmste - doch
ihr wißt es selbst" - er sprach leiser - "wie's im Schachte
steht, die Adern sind verarmt." - "'s ist, als ob's verhert
war'", knurrte einer.
Der Hutmann wandte sich gegen den Knappen, der gesprochen. "Verhert
- oder verflucht!"
"Geh'! Ist's wahr? Wird doch net sein!" brummte es durcheinander.
"Unser Schacht war auch verflucht? Was geht denn der den indianischen
Goldkönig an?"
"Den freilich nicht, aber Gold ist ein seltsam Ding", sprach
der alte Hutmann feierlich. -
"So nicht christlich und redlich damit umgegangen wird, kriegen die
Heimlichen Macht darüber. Und ich sag's, es liegt ein schlimmer Fluch
auf dem Berg und - auf den Weitmosern."
"Auf unserm reichen Bergherrn! Na so ein Fluch, das war' noch ein
Segen für unsereins", grinste ein Knappe. "Tu dich nicht
versündigen", zürnte der Alte.
Doch der Knappe fuhr fort: "Ist er nicht der Reichste weit und breit?
Was in den Bergen gegraben wird von Hunderten Knappen, ist alles sein.
Und der Hof in Gastein mit den kostbaren Säulen und das glänzende
Schloß zu Hundsdorf, das funkelt, als wär's mit Gold gedeckt!"
"Mit Gold nicht, aber mit Schulden, so ist's. Tief herab sind die
Weitmoser und sind so reich und groß gewesen. Fürsten haben
gebuhlt um ihre Freundschaft und Grafen um ihre Töchter. Der alte
Erasmus hätte einen Berg aufschütten können von Goldstücken,
daß ein Ritter drin hatte reiten können mit Lanze und Fahne
und es hätte kein Spitzel und Zipfel mehr herausgeschaut. Wie ein
Strom von Reichtum ist es geflossen aus dem Berge in den Weitmoserhof;
aber der Goldstrom ist versiegt und nur lässig tröpfelt's noch
und mit dem Tropfen schwimmen die Weitmoser bergab. Das alles aber kommt,
weil der Fluch auf ihren Häuptern lastet."
"Und wer hat den Fluch verschuldet?"
"Die Weitmoserin - Ihr wißt doch die Geschichte vom Ring und
der Bettlerin."
Wohl hatten sie davon reden gehört, aber wer dachte immer an solche
Geschichten. Jetzt aber steckten sie die Köpfe zusammen, erinnerten
einer den anderen an die Einzelheiten und waren so im Eifer, daß
sie es nicht bemerkten, daß ein neuer Gast eingetreten war und auf
ein Bänklein im Winkel hinter der Tür sich mehr hingeworfen
als hingesetzt hatte. Aber eine Schankdirn ersah ihn, kennen konnte sie
ihn nicht im Finstern; es mußte wohl ein Armer und Erschöpfter
sein, dem die Heller spärlich im Täschlein klangen.
"Was willst denn, Manndl," fragte sie, "eppan an Kas oder
gar a Bier?"
Der Angeredete hob nur halb den Kopf, es schien, als wittere er den Schweinebraten.
"Habt ihr Fleisch," sprach er, "so gebt mir. Und kein Bier
- Wein." Kaum verstand es die Dirn, die Sprache hatte singend fremden
Klang.
"Was, du bist mir aber a g'naschigs Manndl", rief die Dirn verwundert.
"Da wird der Wirt woltern schaun, was für a fürnehmer Gast
ihm da zubig'schneibt ist!" Mit Lachen berichtete sie vom fleisch-
und weinlüsternen Bettelmännlein hinter der Türe; der Taverner
aber lachte nicht.
Noch grollte es in ihm ob der undankbaren Burschen, denen sein Stolz,
sein fettes, selbstgefüttertes Schwein nicht gut genug: und nun kam
solch ein Landstürzer und vermaß sich, davon zu begehren, als
wäre es just Bettelmannsbraten. Wütend stapfte er zum Türwinkel,
unfein war sein Willkomm:
"Dich hat wohl die Dirn gar übel verstanden, du Lump. Von meinem
Wein willst du und von meinem Schweinernen?! Wird wohl a Sautrankl a gut
genug sein für so a Laufhaserl auf drei Stecken! Was!?" Er schnob;
die breite, dicke Gestalt hatte sich massig vor den armen Sünder
gestellt. Der rührte sich kaum. "Ich komme heute über den
Tauern, bin halb tot vor Hunger und Schwäche. Reicht mir nur die
Labung, dann will ich gern weitergehen." "Über den Tauern!
Heute bei dem Wetter!" rief der alte Hutmann. "Manndl, da mußt
du Böses durchgemacht haben und eilig muß es dir gewesen sein,
daß du nicht auf bessere Zeit gewartet hast."
"Es war bös, sehr bös." Den Fremden schüttelte
ein Schauer; man merkte es trotz der Dunkelheit. "Schnee bis zur
Brust und dann finster und kalt. Dann Sturm! Millionen kleine Eisnadeln
in die Augen, durch die Kleider; der Herzschlag stockt vor Atemnot. Kein
Umdrehen, kein Schützen half, es war, als führe der Sturm aus
allen Seiten der Windrose mit gleicher Wucht einher. Und die Lawinen donnerten,
die Wälder brachen, die Wässer brausten, oh, es war furchtbar."
"Geh, Wirt, hörst, was der arme Kerl durchgemacht! Sei doch
barmherzig und gib ihm, was er will!"
"So? Und wer zahlt mich denn?" rief der Taverner grob. "Du,
Hutmann, hast es alleweil mit der Gutheit, aber was ein Wirt ist, der
muß rechnen." "Ich zahle ja alles", sagte der Fremde
demütig.
"Hm, Geld hast", brummte der andere. "Zeig!" Mit Mühe,
man sah, jede Bewegung machte ihm Schmerzen, lupfte der Fremde ein kleines
Beutelchen, das mehrere Silbermünzen tirolischen Gepräges enthielt.
Der Wirt murrte noch ein weniges, dann zählte er die bestellte Zeche
ab und rief die Schankdirn, die, erstaunt gehorchend, auf das Tischlein
einen Humpen Rotwein und auf ahornem Teller dampfendes Schweinefleisch
mit Kraut und Brot hinschob.
Einen tiefen Zug vom Rotwein tat der im Winkel zu allererst, dann hub
er das Essen an. Das Fleisch war sehr fett; unwillkürlich verzog
der Mann das Gesicht, doch mit manchem guten Schluck spülte er das
Zeug hinab und lehnte sich dann zurück in die Ecke, wo sie am finstersten
war.
Dem Schneider-Toni waren indes die Finger wieder müde und klamm
geworden, die Kehle war verstaubt, die Geige krähte ihr Liedchen
aus, gewissenhaft quiekten und brummten ihre musikalischen Mitschuldigen
ihre Schlußakte, jeder für sich, noch ab und der Krug ging
rundum.
Aus der Stube strömten die Tänzer mit ihren Schätzen wieder
in den Hausflur zurück, aufs neue brausten tolltosender Lärm,
wüstes Schmausen und Zechen.
Das Schenkmädel hatte ihren Freundinnen lachend erzählt von
dem seltsam heikligen Manndl hinter der Türe, das Wein und Braten
verlangt hatte, als seien sie ihm gewohnte Genüsse. Die Kunde ging
um unter den Tafelnden; bald erhob sich der eine und der andere, um unter
dem Vorwande, Luft zu schöpfen, sich das Manndl zu betrachten; die
Dirnen gingen, ineinander eingehängt, zu dreien oder zu vieren umher
und warfen kichernd verstohlene Blicke, doch die Neugier blieb ganz und
gar ungestillt; der Panzer der Finsternis, der den Fremden einhüllte,
hatte sich durch die von den Eintretenden aufgewirbelten Staubmassen zur
Undurchdringlichkeit verdichtet.
Unbefriedigte Wißbegierde macht das Gemüt reizbar. War an
den Tischen in glimpflichem Scherze hin- und hergeraten worden, wer und
woher der Unbekannte, so nahmen allmählich die Deutungen einen bösartigen
Charakter an. "Es ist ein lutherischer Prädikant und Aufwiegler",
zischelten glaubensfeste Papisten. "Ein Spion, von den Pfaffen geschickt,
der uns die Musketiere hereinzügeln wird", flüsterten andere,
die vormittag um die Kirche gegangen. "Ein Hexenmeister, der das
Vieh verspricht und grob Wetter macht", andere.
Trotzig in sein Glas starrend, hatte einer beim Tische gehockt. Es war
jener Knappe, dem der Hutmann sein frevelhaftes Vorhaben derb gerügt.
Aus dem Stalle hatten sie ihn wieder gelassen, als er Urfehde gelobt,
doch der Groll biß in ihm und mußte sich entladen. "Das
werden wir gleich haben", schrie er; durch das Gesurre und Gebrumme
umher scholl es schrill. Zum Tischlein hinter der Türe drängte
sich der Lümmel, beugte sich vor und brüllte, das Kinn auf beide
Hände gestützt, den Einsamen an: "Ha, du, was hockst denn
da hinter wie die Spinn' im Eck!? Hast leicht kein ehrlich Gesicht, daß
du dich nicht zum Licht traust?!"
"Ein Müder sucht Ruhe und Dunkelheit", antwortete es; des
Fremden Stimme war nicht laut, aber ernst und eindrucksvoll, jeder hörte
sie, es war Ruhe geworden und alles horchte.
"Müd'! Gar übern Tauern willst marschiert sein, du Krispel
du! Was glaubst denn, daß wir sind, daß du uns so was aufbindst.
Jetzt kann keiner über den Tauern, er müßt' fliegen können.
So ein Lugenschippl ein verdammter! Jetzt kommst füri, daß
wir sehn, was für einen Vogel wir da haben!"
"Ich bin viel älter als du und krank, du wirst dich nicht an
mir vergreifen."
"Und du wirst mir sagen, was ich zu tun hab'", brüllte
jener. "Außer mit dir aus dem Winkel von selbst oder du fliegst!"
Und er flog - der Bursche nämlich. Mit unglaublicher Behendigkeit
war der Fremde aufgesprungen, als die rohe Pratze nach ihm griff. Ein
Hieb mit stählerner Faust auf den plumpen, borstigen Schädel,
ein Stoß in die Magengrube - sechs Schritte war der Knappe getaumelt,
ehe er schwerfällig an einem Tische niederplumpste. Alles Hub sich
auf in wildem Gejohle; vor dem Geschlagenen aber sprang der Fremde, die
rechte Hand drohend erhoben. Unter hohem, spitzem Hute, aus braunem, scharfgeschnittenem
Antlitze mit kühner Adlernase blitzten in loderndem Feuerzorne stolze,
gewaltige Herrscheraugen; Schnurr- und Kinnbart, eisgrau, sträubten
sich im Grimme. So stand er einen Augenblick, kaum mittelgroß, in
düsterer Tracht gekleidet, ein schwarzes Mäntelchen um die Schultern,
vor den Knappen, die scheu vor der unheimlich fremdartigen Gestalt zurückwichen.
Nochmals schüttelte er die Faust, kurze Worte in fremder Sprache
rief er, scharf und grell wie unheilkündender Fluch, dann ein Schritt
- er war verschwunden im Düster.
Keiner sah, wie er noch rasch einen Sack und Stock, die er mitgebracht
und bei seinem Sitze liegen hatte, mit hurtigem Griffe an sich gerissen.
Der Niedergeworfene rappelte sich mittlerweile mühsam auf. "Wo
ist der Loder!?" Mehrere zornige Stimmen riefen's ihm nach. "Ein
Fremder einen Knappen schlagen! Fassen müssen wir ihn, auf, Gesellen!"
"Halt", rief der Hutmann; er drängte sich vor, mit beiden
Händen ergriff er die Nachststehenden und hielt sie zurück;
er blickte verstört, klanglos war die Stimme. "Wißt ihr,
wer das war? Die heilige Barbara steh' uns bei, es war ein Venediger!"
"Ein Venediger!" Bang ging's von Mund zu Mund; der Taverner
aber rief: "Knappen, auf! Wir müssen ihn fangen. Es ist erzbischöflicher
Befehl, dem jeder Untertan bei Strafe zu gehorchen hat: auf herumziehende
Schatzsucher, sogenannte Venediger, ein fleißig Aug' zu haben, deren
Anwesenheit den Behörden anzuzeigen oder denselben diese Malefikanten
und Zauberleute einzuliefern ..."
"Ja, fang' ihn," rief der Hutmann, "fang' du das Schwarz
der Nacht und den Wind in den
Erlen der Ach. Wer will, der geh', doch hüt' er seine Seele."
Die Knappen stutzten, die Dirnen kreischten, gar manche hing sich fest
an ihres Schatzes Arm, ihn von frevelhaftem Übermut abzuhalten. Ein
paar der Kühnsten stürzten doch hinaus und starrten ratlos in
das sternenlose Dunkel. Die Ache rauschte, klagend zog der Wind und kalt.
Sie schüttelten die Köpfe und kehrten zurück: "Den
fangt keiner mehr."
"Glaub's! Ist vielleicht schon zwanzig Meilen weit weg von uns mit
seinem Zaubermantel; den breitet er aus und der Wind faßt ihn unter
die Arme und trägt ihn lautlosen Fluges wohin er will. Oder lauert
er noch in nächster Nähe; doch du siehst ihn nicht, sein Mantel
macht ihn unsichtbar; du stürmst vorbei an ihm, da haucht er dich
an, die Augen erblinden dir, vom Hauche vergiftet. Und in der Hand hat
er den Bergspiegel, ist eitel Kristall, mit dem blickt er in das Innere
der Berge und auf den tiefsten Grund der Wasser und sucht die Schätze,
die Tausende von Jahren dort für den Venediger gesammelt.
Die Schätze hebt er und fährt heim durch die Luft nach der Meerstadt
Venedig, die ganz im Wasser sieht und eitel Marmorhäuser hat, ewig
flutumspült.
Aber auch furchtbare Waffe ist ihm der Kristall; schleudert er den Blick
durch denselben auf eines Menschen Brust, so verbrennt dem das Herz im
Busen.
Gnade uns Gott, daß wir die nicht reizen, die nicht Menschen sind
und nicht Geister, nicht von der Erde kommen und nicht von der Luft. Und
horch!" - Ein zitternder Uhrenklang hallte dünn durch die Nacht.
"Ein Uhr. Macht Feierabend mit dem Saus und Braus. Gott sei Dank,
die Geisterstunde ist vorbei, bald kräht der Hahn und weckt zu hoffnungsvoller
Arbeit. Glück auf!"
"Glück auf! Glück auf!" hallte es wider. Verklungen
war die Musik, eilig, schweren Schrittes trappten die Gäste haufenweise
hinaus und heim. Der Taverner schlug hinter dem letzten krachend das Tor
zu; in der Stube auf rauher Streu schnarchten die Musikanten.
Draußen gingen die Dirnen scheu aneinandergedrückt mit ängstlichem
Blicke und schrillem Aufschrei, raschelte ein dürres Blatt unter
kahlem Weggesträuch; stumm folgten die Burschen; durch die dumpfen,
trunkbrausenden Köpfe ging's wie beklemmendes Bangen, als schritten
sie in dunkler Nacht vorbei an den Pforten einer fremden, furchtbaren
Welt, die ein jäher Blitz gespenstig gleißend gezeigt. Nie
war's auf dem Heimweg nach heißem Tanze so züchtig zugegangen
in Beckstein wie in dieser Nacht, und schier war jeder Knappe froh, als
mit weichendem Dunkel der Ruf erging zur Schicht, zur harten, gefährlichen
Arbeit im tiefen Berge.
Es verging ein Tag und die Sonne sank. Aus einem Stadel, wie sie hie und
da zerstreut standen, das Heu über den Winter zu bewahren, lugte
vorsichtig ein Kopf. Als dessen Besitzer weit und breit niemanden gewahrte,
auch die Dämmerung immer dichter über den Bergwald herabkam,
sprang er heraus, vom schwarzen Gewände des Heulagers Spuren sorgsam
tilgend.
Der Venediger war es; die ausgiebige Rast im duftenden Heu den langen
Frühlingstag hindurch schien ihn gestärkt zu haben. Vorsichtig
hatte er in der Taverne von Fleisch und Brot ein gutes Stück in den
Sack geschoben; das hatte er verzehrt und nun nahm er beim rinnenden Bächlein
einen frischen Trunk, denn es hieß wandern in Eile das Tal hinaus,
hinaus bis nach Salzburg.
Das war also wirklich ein Venediger, zwar kein solcher, wie ihn das Knappenvolk
glaubte, aber doch ein seltsamer Wanderer, ein venetianischer Edelmann,
der in wichtigen Dingen unerkannt zur Stadt kommen wollte.
Quelle: Gasteiner
Sagen, Dr. Karl O. Wagner, Bad Gastein, 1926, S. 74 - 96.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Monika Maier, April 2005.