Die versunkene Stadt
Nicht immer hat die Stadt Salzburg an der Stelle gestanden, an der sie heute steht, einstmals stand sie, eine römische Siedlung, Castrum Juvavum geheißen, dort, wo sich heute das öde Moor längs des Unterberges hinzieht. Die Stadt war vor mehr als zweitausend Jahren zu stolzer Größe emporgewachsen, aber mit ihrem Emporstieg war auch die Sittenlosigkeit und die Völlerei und alle Laster, welche die Jagd nach dem Geld und der Neid im Gefolge haben, dort mehr und mehr gewachsen. Die Sündenlast der Stadt stieg und stieg und als man weder die Altäre der Götter, noch den des eigenen Gottes mehr ehrte, brach ein furchtbares Strafgericht über die sündige Stadt herein. Mit Mann und Maus versank die ganze Stadt in dieser einen Schreckensnacht und seitdem erhebt sich dort ein weites, ödes Moor. Der Erzbischof Johann von Thun ließ nach der versunkenen Stadt graben und man sieht heute noch eine Inschrift an einer Mauer, die sich vom Mönchsberg unweit des Daun-Schlosses herunterzieht, von der man die Sage ableitet. Zur Nachtzeit soll es dort heute noch nicht geheuer sein, denn die Geister der Versunkenen treiben an dieser Stätte unheimlichen Spuk und verlocken den arglosen Wanderer mit Irrlichtern, um ihn in die unergründliche Tiefe zu ziehen.
Quelle: Karl Adrian, Alte Sagen aus dem Salzburger Land, Wien, Zell am See, St. Gallen, 1948, S. 114