10. Aus der Vergangenheit von Voitsberg.
Voitsberg gehörte im Mittelalter neben Graz und Judenburg zu den bedeutendsten Städten der Steiermark, denn es war Mittelpunkt wichtiger Handels- und Verbindungsstraßen. Solche führten schon damals über die Stubalpe ins obere Murtal, über die Packalpe nach Kärnten, über den Herzogberg nach Stainz, durchs Kainachtal ins untere Murtal und auch nach Osten gegen Graz. — Freilich waren die damaligen Straßen sehr schlecht und auch zeitweise recht unsicher, weil Raubritter, Räuberbanden und entlassene Landsknechte den Verkehr erschwerten. Dazu kamen noch die fortwährenden Streitigkeiten über die ungeklärten Besitzverhältnisse; sie dauerten oft jahrelang, beispielsweise mit den Landesfürsten, mit dem Stift St. Lambrecht und mit den Herren von Wildon, die als Nachfolger der Eppensteiner hier große Gebiete besaßen.
Im Jahre 1173 erbaute mit Zustimmung des Landesfürsten Gottfried von Dürnstein auf Lambrechter Boden die Burg Obervoitsberg, die dann weiterhin von herzoglichen Vögten verwaltet wurde. (Vogtesperch = Vogtberg = Voitsberg). — Sie war ein unschöner und ungegliederter, hochgebauter Kasten mit einem kleinen Hof in der Mitte, in dein sich auch die Zisterne befand. Erst 1598 wurde eine Wasserleitung (Röhrenbrunnen) eingerichtet. Gegen Norden, wo sich der Schloßberg als flacher Rücken fortsetzt, war ein tiefer Graben, der heute verschwunden ist. Auch der feste Turm, der hier ursprünglich von der Burg etwas entfernt stand, war schon im 15. Jahrhundert verfallen. Eine starke Ringmauer umschloß die ganze, recht einfache Wehranlage.
Im Talboden, zu Füßen des Schloßbergs, entstand etwas später — vom Landesfürsten erbaut — ein neuer, regelmäßig angelegter Ort im engsten Schutzbereich der Burg (1194), der dann auch mit einer Ringmauer umgeben wurde und 1245 „Stadt" genannt wird. Zwei lange, auf der Ost- und Westseite des Schloßbergs herabführende Mauern — durch Wehrtürme verstärkt — verbanden die Burg mit der Stadt, so daß beide Wehranlagen mit einer gemeinsamen Ringmauer verbunden waren. Eine besondere Quermauer schützte überdies noch die eigentliche Burg. (Siehe das Bild: Die Stadt Voitsberg mit der Burg um 1687!) — Die „enhalb der Kamach" — jenseits der Kainach — stehende „Untere Burg", später Greißenegg genannt, war von dieser Ringmauer nicht umschlossen. Sie wurde bald nach der oberen Burg erbaut und hatte eigene Wehrtürme und Ringmauern. Alle drei Wehranlagen zusammen — Burg Obervoitsberg, die mauerumgürtete Stadt und die Burg Greißenegg — bildeten eine überaus starke, schier unüberwindliche Talsperre im oberen Kainachboden.
Die Stadt hatte anfänglich nur zwei feste Durchzugstore: auf der Ostseite das untere oder Grazer, auf der Westseite das obere oder Judenburger Tor; beide Stellen sind noch heute durch die enge Verbauung deutlich kenntlich. Zwischen diesen beiden Engstellen breitet sich noch jetzt der langgestreckte Hauptplatz aus, eigentlich nur eine verbreiterte Durchzugsstraße. In der Mitte steht auf hoher Säule eine Marienstatue, unten von acht Heiligen umgeben.
Die Kainach floß früher viel näher an der Stadt vorbei, und die Ringmauer stand knapp am linken Uferrand. Auf dieser Seite gab es später zwei kleine, zinnengekrönte Tortürme: das Kainachtor und das Spitalstor in der Nordostecke nahe dem alten Bürgerspital, das schon im 14. Jahrhundert aufscheint. Im Nordwesten war noch das Tregisttor, und eine sechste Pforte (Burgtor') führte ins Schloß Obervoitsberg; zusammen also zwei Haupttore und vier Nebentore. Außerhalb der Ringmauer, dort, wo früher das alte Spital war, erbaute man im 16. Jahrhundert das Karmeliterkloster; dort entwickelte sich auch eine kleine Vorstadt. Ebenso gab es vor dem Grazer Tor eine Vorstadt, die vielleicht bis zur Hl.-Blut-Kirche reichte, so berichtet wenigstens die Sage. Tatsächlich hat man dort beim Pflügen wiederholt Mauerreste aufgedeckt. In dieser Vorstadt, am linken Ufer des Tregistbaches, stand ehemals die uralte St. Margareten-Kirche; sie war die erste Pfarrkirche von Voitsberg und blieb es bis zum Jahre 1443. Leider wurde sie wegen Baufälligkeit 1890 abgetragen. Die in der Mitte der Stadt, liegende Friedhofkirche St. Michael wurde zur Pfarrkirche erhoben und ist es heute noch. Die alte Margaretenkirche wird schon 1103 urkundlich genannt, dürfte also älter als Burg und Stadt gewesen sein.
Das Wappen der Stadt Voitsberg zeigt zwei zinnengekrönte Türme auf drei Hügeln mit je einer Ähre. Die Bürger der Stadt betrieben lebhaften Handel mit Wein, vornehmlich nach Obersteier, und bezogen von dort Salz und Eisen; befördert wurden die Waren mit Wagen oder Saumpferden. Auch die Klöster Lambrecht, Seckau und Rein besaßen Häuser in der Stadt. Überaus zahlreich waren die Handwerker vertreten; zwölf Innungen werden namentlich genannt: Bäcker, Kürschner, Lederer, Müller, Maurer, Hufschmiede, Nagelschmiede, Schneider, Schuhmacher, Steinmetze, Wagner und Zimmerleute. Selbstverständlich gab es auch viele Gasthöfe. Die Stadt selbst besaß auch ausgedehnte Waldungen in Kowald, Tregist, Lobming und Söding. Wo der Handel blühte, ließen sich auch Juden nieder; in Puchberg gab es ein Judenamt mit einem eigenen christlichen Judenrichter. Sie betrieben hauptsächlich Geldgeschäfte und verlangten unmenschlich hohe Zinsen (45 bis 86 Prozent); es ist daher begreiflich, daß sie wenig beliebt waren. Kaiser Maximilian I., der letzte Ritter, verbannte 1496 alle Juden aus der Steiermark.
Die Blütezeit der Stadt Voitsberg dauerte nicht allzu lang, denn wiederholte schwere Feuersbrünste (1338, 1365, 1379, 1435) und verheerende Überschwemmungen (1385) vernichteten den Wohlstand der Bürger. Schon im 16. Jahrhundert wird Voitsberg ein ,,altes, erarmthes Stattl" genannt. 1480 zogen 1200 Ungarn sengend und plündernd über Voitsberg und die Pack nach Kärnten; die Stadt blieb bis 1490 von ihnen besetzt. Auch die Pest wütete wiederholt gar schrecklich, so 1571 und besonders 1680; die Stadt war damals nur mehr zur Hälfte bewohnt. Die drei Pestsäulen an der Grazer Straße erinnern an diese Zeit. In einem Schreiben wird folgendes berichtet: „Das Handwerk hat abgenommen; kein Kaufmann und nur wenige Handwerker können sich halten; einige Bürger gehen sogar dem Tagwerk nach und leiden mit Weib und Kind Not. Die Steuern können nicht bezahlt, die Häuser nicht mehr in gutem Zustand erhalten werden; die leeren Häuser fallen zusammen, ebenso die Stadtmauern." — Überaus scharfe Vorschriften mußten erlassen werden. Kein Verdächtiger durfte in die Stadt hinein; die Bürger bewachten die Tore und kein Voitsberger durfte ohne „Passierschein" und ohne eidliche Angabe seines Reiseziels die Stadt verlassen. Den Passierschein mußte er von Ort zu Ort unterschreiben lassen. Weil 1682 in Graz wieder die Pest herrschte, durften die Grazer Fleischer selbst mit Passierscheinen Voitsberg nicht betreten. Ein Fleischerknecht aus Graz, der trotz des Verbots nach Voitsberg kam, erhielt im Haus des Stadtrichters „24 gutgiebige, wohlempfindliche Stockstreiche" von zwei „Hebern" verabreicht. —
Als 1683 wieder ein Türkeneinfall *) drohte, wurde jeder Bürger gefragt, ob er bleiben und die Stadt verteidigen wolle. Ohne Ausnahme erklärten sie, „von der Stadt nicht zu weichen". Jede Nacht bezogen vier Bürger die Stadtwache und zwei stiegen auf den Arnstein, um nach Kreidfeuern Ausschau zu halten; auch die Ringmauer, die durch ein Hochwasser schwer gelitten hatte, mußte mit Hilfe von Bauernroboten wieder hergestellt werden. Die Stadt blieb damals von den Türken verschont.
Schon nach 1600 begann ein scharfer Wettbewerb der aufstrebenden Ortschaft Köflach gegen die Vorrechte der Stadt Voitsberg. Aber die Entdeckung und Erschließung der ausgedehnten Braunkohlenlager rund um Köflach und Voitsberg und die Eröffnung der Bahnlinie Graz—Köflach im Jahre 1860 brachten für beide Ortschaften neue Entwicklungsmöglichkeiten und den Aufstieg zu bedeutenden Industriezentren. Auch der Ausbau der schönen Packstraße zur kürzesten Verbindung zwischen Graz und Klagenfurt ist ein Markstein für den Aufschwung unserer Weststeiermark.
Obervoitsberg wurde zuerst von verschiedenen Burggrafen, die sich „von Voitsberg" nannten, verwaltet; sie waren aber nur landesfürstliche Pfleger. Als der letzte Babenberger Friedrich II., der Streitbare, 1246 in der Schlacht gegen die Ungarn fiel, erbte seine Nichte, Herzogin Gertrude, Voitsberg samt den beiden Burgen: sie hielt sich zeitweise hier, zeitweise in Judenburg auf. Gertruds Tochter Agnes vermählte sich mit dem Grafen Ulrich von Heunburg, der dann 1279 die Stadt mit den Burgen gegen eine hohe Entschädigung an Rudolf von Habsburg abtreten mußte. Damit wurde der ganze Besitz wieder landesfürstlich. Fast 200 Jahre saßen die Hanauer auf der Burg, dann folgte Laun von Haunstein und hernach Andreas von Greißenegg, der Freund Baumkirchers. Kaiser Friedrich III. ließ beide Ritter trotz des zugesagten „freien Geleites" im Jahre 1471 widerrechtlich zwischen den beiden Grazer Murtoren enthaupten. — In den nun folgenden Jahrzehnten wechselten sehr häufig die Pfandinhaber auf Obervoitsberg; darunter waren auch die Freiherren von Racknitz, bis dann die Grafen Wagensberg die ganze Herrschaft, kauften und mit Greißenegg vereinigten. Obervoitsberg wurde dem Verfall preisgegeben.
Nach dem Tod Andreas von Greißeneggs wurde das Schloß Greißenegg fortan vom Landesfürsten an verschiedene Inhaber verliehen, jedoch getrennt von Obervoitsberg, bis es dann 1655 Graf Sigmund von Wagensberg kaufte, bei welcher Familie es bis 1878 verblieb. In diesem Jahr erwarb das Schloß der Gewerke August Zangg, der es bald darauf völlig umbaute, so daß von dem ehemaligen Wehrbau nur mehr Reste vorhanden sind.
*) Zweite Belagerung Wiens durch die Türken.
Quelle: Was die Heimat erzählt, Die Weststeiermark, Das Kainach-, Sulm- und Laßnitztal. Herausgegeben von Franz Brauner. Steirische Heimathefte. Graz 1953.
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