13. Sagen von der Burg Greißenegg.
Schloß Greißenegg liegt bei Voitsberg auf einem mäßig hohen, ziemlich steil abfallenden Hügel am rechten Ufer der Kainach. Der heutige Bau ist ein moderner, viereckiger Wohnblock, während die alte Burg ein höchst wehrhafter Bau mit einer Vorburg, drei Toren und drei Höfen war; auf der Kuppe des Hügels stand der Palas und der freistehende hohe Bergfried.
In dieser Burg hauste einst ein recht bösartiger und selbstsüchtiger Ritter mit seiner einzigen Tochter, der blühend schönen Kunigunde. Auf Befehl des Vaters mußte sie sich gegen ihren Willen mit dem recht betagten Ritter Ulrich von Waldstein verloben. Eines Tages wurden in Voitsberg Ritterspiele veranstaltet, an denen auch der alte Waldsteiner mit seinem stattlichen Sohn teilnahm, der bei dieser Gelegenheit die schöne Kunigunde kennenlernte. Der junge Ritter verliebte sich in das Fräulein, das seine Liebe herzlichst erwiderte. Ulrich von Waldstein, der Vater, war darüber so erbost, daß er den Sohn mit dem Kreuzzug ins Heilige Land schickte und sich inzwischen rasch mit der widerstrebenden Kunigunde vermählte. Nach der Hochzeit lebte das ungleiche Paar auf der Burg Waldstein, deren Ruinen noch heute auf einem Berg zwischen Deutschfeistritz und Übelbach liegen.
Als nach vielen Monaten der junge Waldsteiner in die väterliche Burg zurückkehrte, wurde er von Kunigunde liebevoll empfangen. Der alte Ritter, der an diesem Tag gerade auf der Jagd weilte, überraschte bei seiner Heimkunft das junge Paar und glaubte, daß Kunigunde ihm die Treue gebrochen habe. In seiner blinden Wut befahl er seinen Burgknechten, den Sohn lebendig im tiefsten Verlies einzumauern. Als die Knechte zögerten, diesen unmenschlichen Befehl auszuführen, zwang er sie mit gezücktem Schwert zum Gehorsam. Auch Kunigunde mußte dabei anwesend sein, und ihre flehentlichen Bitten und Unschuldsbeteuerungen beantwortete er mit kaltem, höhnischem Lächeln. Immer höher wuchs die Mauer, und als die letzte Öffnung verschlossen wurde, fiel Kunigunde besinnungslos zu Boden.
Schon am nächsten Tag war der Grimm des Alten verraucht. Er bereute die unmenschliche Tat und ließ sogleich die Mauer aufbrechen, doch war es schon zu spät. Kunigunde verabscheute nun den alten Wüterich und wurde trübsinnig.
Von schweren Gewissensbissen gepeinigt ritt der Alte eines Tages ins nahe Stift Rein, um bei den frommen Vätern Trost und Verzeihung zu erflehen. Beides wurde ihm wegen seines scheußlichen Verbrechens verweigert. An seiner Zukunft und Seligkeit verzweifelnd, spornte er auf dem Heiniritt sein Pferd zu wildem Galopp. Plötzlich stürzte es, überschlug sich und begrub den Ritter, der sich dabei das Genick brach und tot liegen blieb. — Kunigunde, nunmehr Witwe, verfiel gänzlich dem Wahnsinn und wurde von ihrem Vater in die Burg Krems gebracht. Dort lebte sie noch viele Jahre in völliger geistiger Umnachtung und beschäftigte sich nur mit dem Zählen von Nüssen, die sie in einer großen Truhe verwahrte.
Quelle: Was die Heimat erzählt, Die Weststeiermark, Das Kainach-, Sulm- und Laßnitztal. Herausgegeben von Franz Brauner. Steirische Heimathefte. Graz 1953.
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